Der pensionierte Mathematik- und Physiklehrer Klaus Lies aus Bremen engagiert sich seit Jahren für die Mathematik. Beispielsweise im Jahr der Mathematik mit dem "Mathemobil" und jetzt für das ehrenamtliche Projekt "doppeldenker - mathe im team", in dem Senioren geschult werden und dann in die Grundschulen gehen, um Verständnis für Mathematik zu fördern und Frust zu vermeiden. Stephanie Schiemann vom Netzwerkbüro Schule-Hochschule sprach mit ihm.

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(Foto: (li.) Klaus Lies/privat, (re.) Team Doppeldenker: v.l.n.r. Frank Mayer, Ina Sonntag, Christine Eikermann, Ulrike Locke, Barbara Bittner, Karin Henke/Susanne Frerichs)

Wie ist das Doppeldenker-Projekt organisiert? Was ist ihr Ziel?
Das Bremer Projekt "doppeldenker - mathe im team" findet unter dem Dach der Bremer Freiwilligen-Agentur statt. Aktuell sind rund 75 ehrenamtliche Mathehelfer an 26 Grundschulen unserer Stadt im Einsatz. Dort unterstützen sie mindestens einmal in der Woche die Kinder für zwei Unterrichtsstunden beim Erlernen der Mathematik. Unser Ziel dabei ist es zum einen, den oft erwähnten Frust an der Mathematik zu bekämpfen, bevor er überhaupt entsteht - darum die Grundschulen als Aktionsort. Zum anderen wollen wir mit unserem Einsatz aber auch den Kindern ein Signal setzen: Mathematik ist etwas so Schönes, dass es sogar Erwachsene gibt, die ihretwegen noch mal in die Schulen gehen. Und Mathematik ist ein Thema, das nicht nur im „geschlossenen System Schule" behandelt wird, sondern das auch außerhalb einen großen gesellschaftlichen Stellenwert besitzt. Und nicht zuletzt wollen wir sagen: Bildung ist überhaupt ganz wichtig im Leben der Menschen und wir möchten, dass die Kinder möglichst viel davon mitbekomme; die Kinder sind uns wichtig!

Was war für Sie der Auslöser bei der Doppeldenker Initiative mitzuwirken? Wie sind Sie dazu gekommen? Worin besteht Ihre Arbeit/Aufgabe dort konkret?
Im Jahr der Mathematik 2008 hatte die Wirtschaftsförderungs-GmbH "Bremen Marketing" das bremische "Mathemobil" in Fahrt gebracht, ein transportables Zelt, groß genug für eine Schulklasse, das über Bremer Grundschulhöfe zog und in dem Kindern der ersten Klassen spielerisch Mathematik geboten wurde. "Betrieben" wurde das Mathemobil von Studenten, ich war einer der "inhaltlichen Macher" und begleitete das Projekt das ganze Jahr über. Wir erreichten ca. 4000 Kinder. Unser Motto war "Mathematik ist toll, Mathe macht Spaß, Mathe kann jeder - auch wenn man es vielleicht noch nicht weiß und glaubt ...". Damit haben wir das Interesse vieler Kinder geweckt und, was mich selbst betrifft: mein Herz ist dabei für die Kinder aufgegangen. Sie sind in diesem Alter so gierig auf geistige Nahrung, so begeisterungsfähig - eben auch für die Mathematik, dass es eine reine Freude ist. Dieses vermaledeite "Mathe konnte ich auch nie" der Älteren blockiert sie noch nicht, und sie haben noch Vergnügen am Rechnen und Knobeln. Zwei Jahre später kippt es leider bei vielen. Wenn ich also noch etwas bewirken konnte getreu meinem oben vorangestellten "Mathematik zählt"-Motto, dann gerade bei diesen Kindern im Grundschulalter.

Hierzu passte das Doppeldenker-Projekt der Freiwilligen Agentur Bremen exakt. Auch traf es sich gut, dass ich aufgrund meiner Erfahrungen mit dem Mathemobil vor zwei Jahren von der Freiwilligen Agentur angesprochen wurde, die damals gerade plante, ihr erfolgreiches Leseprojekt auf den Bereich der Mathematik zu erweitern. So wurde ich Mitglied des Doppeldenker-Teams. Seitdem ist es meine selbst gewählte Aufgabe, das Projekt im Team mit zu begleiten und weiter zu entwickeln. Insbesondere fühle ich mich zuständig für mathematische Fachfragen. Ich habe Materialien für die Arbeit der Doppeldenker bereitgestellt, entwickelt und pflege sie weiter. Eine besonders ehrenvolle Aufgabe war für mich, auf einer Dankesveranstaltung einen allgemeinverständlichen Mathematikvortrag für alle Doppeldenker halten zu dürfen. Auch Erwachsene kann man mit Mathematik begeistern, und auch das möchte ich weiter entwickeln.

Wie wird man Doppeldenker und was "sollte man mitbringen"?
Grundvoraussetzung ist, dass man Begeisterung für die Mathematik mitbringt und diese kindgerecht weitergeben kann. Dazu gehört vor allem Geduld, die Fähigkeit zuzuhören und nicht zuletzt auch die Kompetenz, sich in die Denkweise der Kinder hinein zu versetzen. Kleine Kinder rechnen in der Regel anders als Erwachsene. Zumal die moderne Didaktik mittlerweile viele Rechenwege akzeptiert, wenn diese nachvollziehbar sind und das Ergebnis richtig ist. Die Mathehelfer müssen sich also mit der Denkweise der Kinder vertraut machen und die kleinen Rechner auf ihrem Weg bestärken und unterstützen - deshalb auch der ungewöhnliche Projektname.

... sie wie Literatur, Kunst und Musik geeignet ist, Menschen großes geistiges Vergnügen zu bereiten. Klaus Lies


Wer unterstützt Sie bzw. das Projekt? Bekommen das Team oder die Ehrenamtlichen auch etwas Geld für ihren Einsatz oder besteht der Lohn ausschließlich in den zufriedenen Kindern?

Ich arbeite in einem insgesamt siebenköpfigen Team, das sich hauptsächlich aus Ehrenamtlichen zusammensetzt. Wir organisieren die Vorbereitungskurse und Reflexionstreffen, machen die Öffentlichkeitsarbeit, das Fundraising und halten Kontakt zu den Mathehelfern sowie den Lehrern. Unterstützt werden wir dabei vom Landesinstitut für Schule, der Universität Bremen sowie von den Referent/innen, welche die Vorbereitungskurse durchführen. Finanziell wird das Projekt unterstützt durch eine Bremer Familienstiftung und kleinere Preisgelder unterschiedlicher Herkunft. Für die Ehrenamtlichen des Teams und die Doppeldenker selbst gibt es kein Geld. Der Lohn besteht tatsächlich "in den zufriedenen Kindern" - und den gibt es reichlich.

Gibt es derartige Projekte auch in anderen Städten?
Bevor wir 2010 an den Start gingen haben wir bundesweit nach ähnlichen Initiativen recherchiert, ohne Ergebnis. Zwar gibt es nahezu in jeder größeren Stadt diverse Leseförderojekte an Grundschulen, mathematische Unterstützung aber konnten wir nicht finden. Das ist schade, denn wir würden gerne Erfahrungen austauschen oder unser Wissen zur Verfügung stellen. Vielleicht ergibt sich ja etwas auf diesem Weg.

Sicher werden einige Leser auch Feuer fangen, wenn sie von dem Doppeldenker-Projekt lesen. Können Sie einen Tipp zur Starthilfe solcher Projekte geben? An wen muss man sich wenden?
Das A & O sozusagen ist die Einbindung der Lehrkräfte, die von Anfang an bei der Entwicklung solch eines Projekts beteiligt sein sollten. Mit einem fertigen Konzept die Schulen anzusprechen, ist unserer Meinung nicht der Erfolg versprechende Weg. Denn als Erstes gilt es überhaupt den Bedarf an ehrenamtlicher Unterstützung an den Schulen zu evaluieren. Ist dieser vorhanden, sollte gemeinsam mit den Lehrern und den anderen Vertretern der beteiligten Bildungsinstitutionen festgestellt werden, wie solch eine Unterstützung aussehen könnte und wie diese organisatorisch gestaltet werden könnte. Sind diese Fragen geklärt, sollte die Vorbereitung der potenziellen Mathehelfer ins Auge gefasst werden. Die Mathematik-Didaktik hat in den letzten zehn Jahren ja einen grundlegenden Wandel erfahren, dies muss den Freiwilligen im Vorfeld natürlich vermittelt werden. Erfahrungsgemäß haben die meisten Ehrenamtlichen seit Jahrzehnten keine oder nur wenige Berührungspunkte zu Grundschulen und deren Arbeitsweisen gehabt. Da gibt es unserer Meinung nach einen enormen Wissensbedarf. Im letzten Schritt erst geht es dann daran, die Zielgruppe der möglichen Freiwilligen zu analysieren und zu überlegen, auf welchem Weg diese für ein Engagement gewonnen werden können.

Doppeldenker beim Vorbereitungskurs 250

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(Foto: (li.) Doppeldenker beim Vorbereitungskurs (re.) Gemeinsam die Schulbank drücken/Susanne Frerichs)

Was haben Sie in Ihrem früheren Leben gemacht? Sagen Sie doch bitte etwas zu Ihrem Beruf und Ihren wichtigsten mathematischen Projekten.
Bis zu meiner Pensionierung vor drei Jahren war ich Mathe- und Physiklehrer, zuletzt am Kippenberg-Gymnasium in Bremen. Ich war immer gerne Lehrer, wenn auch mein Unterricht zuweilen unter der hohen Stundenbelastung und der großen Anzahl der Schüler ein wenig litt. Es war unmöglich, sich allen so intensiv zu widmen, wie ich es für erforderlich hielt.
Deshalb war ich von der Mitte meines Berufslebens an bestrebt, neue Aufgaben zu übernehmen und dadurch den Anteil der Unterrichtsstunden zu vermindern. Ich beteiligte mich an Lehrerfortbildungsprojekten, Studentenbetreuung und öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen mit mathematischem Hintergrund. Viel Engagement steckte ich in die Unterstützung mathematischer Wettbewerbe. So trainierte ich etliche Schülerinnen und Schüler und beteiligte mich auch an der Ausrichtung von Wettbewerben, wie z.B. der Bundesrunde der Mathematik-Olympiade 2003 oder der IMO 2009, beide in Bremen.

Und am Schluss würde ich gern noch wissen, wer Sie selbst motiviert hat, Mathematik zu studieren. Gibt es ein bestimmtes Erlebnis oder Vorbilder in Ihrer Kindheit oder Jugend?
In der Schulzeit haben mich zwei Lehrer auf Mathematik "heiß gemacht". Beide zelebrierten Mathematik mit Begeisterung, und beide mochten ihre Schüler. Der eine liebte es zu knobeln; da erlebte ich als 13-Jähriger, wie schön es ist, mathematische Probleme zu lösen. Der andere kam direkt von der Uni und erzählte uns von Cantor und Hilbert, brachte uns ein bisschen Gruppentheorie bei, interessierte uns für komplexe Zahlen - lauter Sachen, die in den Schulbüchern vor 50 Jahren nicht vorkamen. Dass einer unbekümmert von Lehrplänen seine mathematischen Steckenpferde ritt und dabei Schüler auch noch mitriss imponierte mir gewaltig, und ich lernte als 17-Jähriger die Mathematik schätzen.

Ein paar Jahre später motivierte mich in Braunschweig Prof. H.-J. Kowalsky noch einmal kräftig für die Mathematik. Er faszinierte seine Studenten durch meisterhafte Vorlesungen, imponierte durch seine umfassende mathematische Bildung und war im menschlichen Umgang sehr angenehm.  Dass Mathematik eins meiner liebsten Hobbys wurde, mag also viel mit menschlichen Begegnungen zusammenhängen. Ich habe die begründete Hoffnung, dass dieser Effekt auch im Zusammenwirken der Schulkinder mit ihren Doppeldenkern eintreten wird.