Salih Ergün ist Mathematik-Lehrer an den TÜDESB-Schulen in Berlin-Spandau. Bei den TÜDESB-Schulen handelt es sich um ein 2004 von türkischen Migrant*innen gegründetes mittlerweile staatlich anerkanntes Gymnasium und um eine Realschule/Integrierte Sekundarschule in Berlin-Spandau. Die Schulen sind nach dem geltenden Schulgesetz in Berlin gegründet worden und richten sich nach den Bildungsplänen des Berliner Schulsenats. Die Schülerschaft setzt sich zurzeit überwiegend aus Schüler*innen mit türkischem Migrationshintergrund zusammen. Die Schulleitung ist davon überzeugt, dass mit steigendem Schulerfolg auch die gewünschte Internationalität erreicht wird.
Neben der Internationalität und dem Aspekt der Völkerverständigung legen Schulleitung und Lehrerschaft großen Wert auf das Engagement jedes und jeder einzelnen. Auch die Naturwissenschaften werden an den TÜDESB-Schulen großgeschrieben. Salih Ergün, selbst in der Türkei geboren, lebt diese Internationalität und engagiert sich seit vielen Jahren insbesondere für die Mathematik an seiner Schule und darüber hinaus. Mit Salih Ergün sprach Thomas Vogt vom DMV-Medienbüro Mathematik.

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(Foto: privat)


Wie haben Sie zur Mathematik gefunden? (als Kind? als Schüler?)
Mathematik war in meiner Familie immer ein wichtiger Bestandteil des alltäglichen Lebens. Mein Vater besaß jahrelang einen Laden und ich half ihm gern bei der Arbeit. Da es für mich damals ungewohnt war und auch noch heute ist mit einem Taschenrechner zu rechnen, war ich in der Lage, die Rechnungen für die Kunden sehr schnell im Kopf zu erledigen.
Durch die mathematischen Erzählungen und Ratschläge meines Vaters baute ich mit der Zeit immer stärker eine Beziehung zu den Personen auf, die in der Mathematik besonders gut waren, und sah sie für mich als Vorbilder.
Auf die Mathematikkenntnisse wurde bei uns zuhause sehr großen Wert gelegt. In der Schule war ich zwar im Fach Mathematik nie der Beste in der Klasse, aber die Mathematik zu erforschen und mathematische Aufgaben zu lösen, hat mir immer viel Spaß gemacht. Meinen Mitschülern damals im Mathematikunterricht zu helfen, war für mich eine Ehre.

Was hat Sie dazu bewogen, Mathematik-Lehrer zu werden?
Das Bedürfnis, orientierungs- und perspektivlosen Jugendlichen helfen zu wollen, hat mich motiviert, Lehrer zu werden. Als Lehrer kann man Jugendliche gut für unterschiedliche Schulaktivitäten motivieren und sie in ihrem Lernprozess unterstützen.
Als ich mich entschied Lehrer zu werden, dachte ich keine einzige Sekunde darüber nach, welches Fach ich unterrichten würde. Wenn ich diese Gelegenheit noch Millionen Mal erhielte, so würde ich mich ausschließlich und ohne eine Sekunde nachzudenken immer wieder für die Mathematik entscheiden. Sie ist ein Teil meines Lebens und für mich das schönste Unterrichtsfach der Welt! Außerdem bin ich davon überzeugt, dass man durch dieses Fach mehr Jugendliche positiv beeinflussen und motivieren kann, als es in jedem anderen Unterrichtsfach oder Beruf möglich wäre. Auch heute noch bekomme ich viele Anrufe, Mails und Nachrichten von meinen ehemaligen Schülern. Dabei werden immer wieder unsere gemeinsamen Erinnerungen und Unterrichtserlebnisse mit Freude thematisiert.

Was hat Sie als Kind oder Schüler an der Mathematik fasziniert - und was begeistert Sie heute an der Mathematik?
Die Wissenschaft des Universums, die Verhältnisse von Planeten zueinander, die Klimaveränderungen und nicht zuletzt die vielen unzählbaren Situationen, die im Alltag passieren, sind durch Mathematik nachvollziehbar.
In diesem Zusammenhang sagt Galileo Galilei: „Aber das Buch ist nicht zu verstehen, wenn man nicht zuvor die Sprache erlernt und sich mit den Buchstaben vertraut gemacht hat, in denen es geschrieben ist. Es ist in der Sprache der Mathematik geschrieben und deren Buchstaben sind Kreise, Dreiecke und andere geometrische Figuren, ohne die es dem Menschen unmöglich ist, ein einziges Bild davon zu verstehen; ohne diese irrt man in einem dunklen Labyrinth herum."
Mathematik ermöglicht uns, diese Sprache zu verstehen, sie zu begreifen und, um es auf den Punkt zu bringen, Mathematik macht glücklich!

Was hat es mit TÜDESB auf sich?
1994 begann der TÜDESB Bildungsinstitut Berlin-Brandenburg e.V. als Elterninitiative mit klassischer Schülerhilfe im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Heute betreibt der gemeinnützige Verein in der Hauptstadt sechs Bildungszentren, ein staatlich-anerkanntes Gymnasium, eine staatlich-anerkannte Realschule, eine Grundschule im Aufbau und vier Kindergärten in freier Trägerschaft.
Die TÜDESB Privatschulen (Grundschule, Sekundarschule, Gymnasium) sind als Ganztagsschulen mit vielseitigem Förderangebot eine Bereicherung der Berliner Schullandschaft. In unseren Privatschulen lernen rund 500 Schülerinnen und Schüler. Unterrichtssprache ist Deutsch, Türkisch kann neben Französisch als zweite Fremdsprache nach Englisch gewählt werden. Die Besonderheit unserer Schulen ist das Bestreben jeden Schüler so zu unterstützen, dass er das Klassenziel bzw. einen erfolgreichen Schulabschluss erreicht.
Im vergangenen Schuljahr haben wir den ersten Abiturjahrgang aus unserem Gymnasium entlassen. Stellt man sich vor, dass viele dieser Schüler mit Realschul- und Hauptschulempfehlung zu uns gekommen sind und ein erfolgreiches Abitur hingelegt haben, so werden der Einsatz und die Motivation der Schulleitung, der Lehrkräfte und der Schüler erkennbar.

... Mathematik die Wissenschaft allen Geschehens im Universum ist. Salih Ergün


Gilt an Ihrer Schule ein deutscher oder ein türkischer Lehrplan für Mathematik? Wie unterscheidet sich der Mathematik-Unterricht an der TÜDESB- Schule von dem an einer Schule des Berliner Senats?

Selbstverständlich gilt an unserer Schule der deutsche Lehrplan. Mit unserem „Schulinternen Curriculum" und unseren Stoffverteilungsplänen orientieren wir uns am Rahmenplan der Berliner Schulverwaltung. Der Unterricht im Fach Mathematik wird an unserer Schule auf Deutsch vermittelt und es wird ein besonderer Wert auf dieses Fach gelegt, was sich im Schulalltag dadurch zeigt, dass Mathematik nicht nur unterrichtet, sondern auch von der Schule er- und gelebt wird: In jedem Monat z.B. werden bestimmte Mathematikaufgaben den Schülern zur eigenständigen Bearbeitung gestellt und sie können sich im „Matheforum" über mathematische Phänomene ausgiebig austauschen. So haben die Schüler an unserer Schule immer „Mathematik" vor Augen und werden daran erinnert, wie interessant diese Wissenschaft ist und welchen Nutzen sie im Leben eines jeden einzelnen Menschen hat.

Wie machen Sie die Mathematik Ihren Schüler*innen schmackhaft?
In meinem Unterricht sind nicht nur leistungsstarke Schüler aktiv, sondern auch leistungsschwächere. Ich nehme jeden Schüler, jede Schülerin im Unterricht ernst, bin geduldig und lasse sie aussprechen. In den Unterrichtsstunden sprechen wir Themen an, die im Alltag vorkommen und uns verdeutlichen, dass mit Mathematik das Leben einfacher zu gestalten ist. Zum Beispiel beim Bau einer Brücke, beim Optimieren eines gewünschten Autos, bei den von den Schülern sehr geliebten Musikspielgeräten, überall ist mathematisches Denken erforderlich.
Mit den in Mathematik freiwillig engagierten Schülern haben wir eine „Mathematikstraße" gestaltet, in der sich auch ein „Matheforum" und ein „Matheraum" befindet. Beim Matheforum steht die Devise „Schüler helfen Schülern" im Vordergrund - leistungsstärkere Schüler helfen den leistungsschwächeren. Im Matheraum befinden sich alle wichtigen und für fast jedes Thema verschiedene Materialien, mit denen der Mathematikunterricht attraktiv gestaltet bzw. das zu besprechende Thema den Schülern ansprechend und interessant beigebracht werden kann. Wenn ich zum Beispiel ein Thema mit Flächen- oder Rauminhalt habe, nehme ich unbedingt die benötigten Mathematikfiguren und einige Bilder als Folie für den Overhead-Projektor mit.
Die Tafeln mit den Namen „Mathespaß", „Mathematik im Alltag", „Suche nach Vorbildern", „Schönste Hausaufgaben", „Treffpunkt Integration", „Informationstafeln" und die „Berliner Mathezeitung" bereichern die Mathematikstraße. Zur Mathematik-Attraktion an unserer Schule gehört auch das Doppelpreisträger-Projekt „Mathecafe".

Was ist das Mathecafé?
Das Mathecafé ist ein Raum, in dem Mathematikerlebnisse für die Schüler erfahrbar werden. Die Schüler lernen die wunderbare Welt der Mathematik durch Freude am Rechnen, Spiele und Spaß kennen. Jeder, der das Mathecafé besucht, fühlt sich wohl. Die Schüler sollen Wissensaufgaben lösen und dabei Mathematikpunkte sammeln, für die sie ein kleines Präsent erhalten. Jeder, der sich für Mathematik interessiert, ist im Mathecafé herzlich willkommen!
Für die Gruppenarbeiten sind besondere Gruppennamen vorgesehen. Ich lege besonders großen Wert auf das Kopfrechnen und organisiere meist in kürzeren Abständen Wettbewerbe. Die Gewinner erhalten ein kleines Geschenk, beispielsweise eine leckere Schokolade. Im Unterricht darf nie über eine von einem Schüler gestellte Frage oder über einen gemachten Fehler gelacht werden. Die Schüler erhalten die Möglichkeit, ein Referat zu einem selbst gewählten Mathematikthema zu halten, um ihre mündliche Note zu verbessern und selbstbewusster zu werden.

Bitte schildern Sie Ihre außerschulischen Aktivitäten im Bereich Mathematik.
Ich bin Mitglied im Bildungsverein „Academy e.V. ". Dort treffe ich mich regelmäßig mit anderen engagierten Mathematiklehrern und versuche gemeinsam mit ihnen neue Ideen und Projekte wie z.B. den „Pangea-Mathematikwettbewerb" oder den „Mathematikführerschein" zu entwickeln.
Zurzeit bin ich dabei, ein Übungsbuch zu schreiben, das über die wichtigsten Themen in der Mathematik mit sehr attraktiven Bildern, Beispielen und Anwendungen informiert. Mein wichtigstes Anliegen und Hauptziel ist es, dass ich versuche, Lust und Neugierde bei Schülern für das Fach Mathematik zu wecken. Das Buch wird wahrscheinlich im September 2012 veröffentlicht werden. Zusätzlich bin ich dabei mein Traumprojekt „Mit Medien motivierende Mathematik-Werkstatt" zu verwirklichen.