Ronald Wotzlaw ITNach meinem erfolgreichen Studium und der Promotion an der Technischen Universität Berlin entschied ich mich, meine Interessen an Mathematik, Informatik und Fotografie zu vereinen. Ich bewarb mich daher auf eine Stelle in der Forschungsabteilung von Nik Software, die ich im Oktober 2009 antrat. Nik Software entwickelt Software-Lösungen für professionelle Fotografen zur hochqualitativen Nachbearbeitung digitaler Bilder.

In der Forschungsabteilung legen meine Kollegen und ich die Grundlagen für neue Produkte. Bevor die Entwicklung der Benutzeroberfläche beginnt, entwickeln wir den "Kern" der Anwendung, also den Teil, auf dem die Bearbeitung der Bilder basiert. Erst wenn dieser Kern den gewünschten Standards entspricht, beginnen andere Abteilungen damit, ein Produkt um unsere Arbeit herum zu entwickeln, welches schließlich auf den Markt gebracht wird.

In der Anfangsphase eines neuen Projektes stehen die Recherche und das Experimentieren im Vordergrund. Verschiedene Bildverarbeitungsalgorithmen, also Verfahren, die ein Bild auf eine bestimmte Art und Weise verändern, werden implementiert. Vielversprechende Ansätze werden ausgereizt, bis ein Verfahren gefunden wird, das die gewünschten Ergebnisse liefert. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auch darauf gerichtet, wie effizient ein Verfahren umgesetzt werden kann. Schließlich soll die Berechnung für den Benutzer unserer Software in akzeptabler Zeit durchgeführt werden können. Dies ist eine Einschränkung, aber sie macht für mich auch den besonderen Reiz meiner Arbeit aus: Bestmögliche Bildqualität mit beschränkten Ressourcen (Laufzeit, Speicherverbrauch, aber auch Entwicklungszeit) zu erreichen, ist eine besondere Herausforderung. Im weiteren Verlauf der Produktentwicklung verschiebt sich der Fokus von der reinen Algorithmen-Entwicklung zur Integration in das fertige Produkt, sowie zur Optimierung und Fehlerbereinigung (Debugging) der Algorithmen.

Das erste Produkt, an dem ich mitgearbeitet habe, ist "HDR Efex Pro". Mit "HDR Efex Pro" lassen sich so genannte HDR-Bilder erstellen. Das Kürzel HDR steht für "High Dynamic Range" (hoher Dynamikumfang). Dies ist eine Technik, die es erlaubt, durch mehrere Aufnahmen der gleichen Szene ein Bild zu erschaffen, das sowohl in sehr hellen als auch in sehr dunklen Bereichen der Szene einen großen Detailumfang enthält. Solche Bilder lassen sich, ohne HDR-Technik, in manchen Situationen selbst mit modernsten Kameras nicht erstellen.

Die Berechnung eines HDR-Bildes umfasst im Wesentlichen die folgenden Schritte: Genaues Übereinanderlegen der Bilder (falls die Kamera bei der Aufnahme leicht bewegt wurde) und das Zusammenfügen zu einem einzigen Bild mit hohem Dynamikumfang. Das Ergebnis dieser zwei Schritte entspricht der echten Helligkeit der Szene und ist aus diesem Grund auf herkömmlichen Bildschirmen in der Regel nicht darstellbar. Man stelle sich zum Beispiel ein Foto der Sonne vor: Von der echten Sonne wird man geblendet, von einer Darstellung der Sonne auf einem Bildschirm oder auch auf einem Druck jedoch nicht. Will man also ein HDR-Bild anzeigen oder ausdrucken ist ein weiterer Schritt notwendig: das so genannte Tonemapping. Dieses Verfahren verringert den Dynamikumfang des Bildes, erhält aber dennoch den Detailumfang im Vergleich zu einem gewöhnlichen Foto.

Auch wenn die HDR-Technik erst in letzter Zeit durch die immer einfacher werdende digitale Fotografie wirklich populär geworden ist, ist dies keine neue Technik: Bereits in den 1930er und 1940er Jahren entwickelte Charles Wyckoff eine HDR-Technik für Film und verwendete sie, um Aufnahmen amerikanischer Atombombentests zu machen.

Nach Fertigstellung und dem sehr erfolgreichen Release von "HDR Efex Pro" habe ich die Leitung eines neuen Projektes übernommen. Damit sind einige administrative Aufgaben zu meiner täglichen Arbeit hinzugekommen: Kommunikation mit externen Partnern, Aufgabenverteilung und Zeitplanung sowie Teambesprechungen.

Berührungspunkte zwischen meiner Tätigkeit bei Nik Software und meiner Promotion in Mathematik existieren durchaus. Es lassen sich zum Beispiel bestimmte Verfahren der Algorithmischen Geometrie auf Probleme des Farbmanagements anwenden. In der täglichen Arbeit spielt das während der Promotion erworbene fachliche Wissen aber dann doch fast keine Rolle. Deutlich wichtiger ist da schon mathematisches Grundwissen und das in der Promotion erworbene prozedurale Wissen: Wie gehe ich Probleme an? Wie unterscheide ich Wichtiges von Unwichtigem? Wie strukturiere und organisiere ich meine Arbeit? In diesen Punkten haben mir auch die diversen von der "Berlin Mathematical School" angebotenen Soft-Skill-Seminare geholfen, an denen ich während meines Promotionsstudiums teilgenommen habe.

Mathematik habe ich aus Leidenschaft studiert. Die Promotion nach dem Diplomstudium war naheliegend, da mein Interesse an weiterem Wissen über Mathematik noch lange nicht erschöpft war. Ich bin vor Kurzem gefragt worden, ob ich es nicht als bedauerlich empfinde, dass meine jetzige Tätigkeit wenig mit meinem Promotionsthema zu tun hat. Im Gegenteil, ich freue mich über die Herausforderung in einem für mich relativ unbekannten Gebiet neue Dinge zu lernen und diese in Produkte umzusetzen, die von Fotografen weltweit eingesetzt werden.

tgt