Lydia Tsintsifa ITWie sind Sie auf die Idee gekommen, Mathematik zu studieren?
Mein Vater ist Mathematiker und hat mich schon als Kind mit seiner Leidenschaft für Mathematik angesteckt. In Thessaloniki, der griechischen Hafenstadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin, hatte er eine Nachhilfeschule für Naturwissenschaften. Zu Hause hat er mir beigebracht, mathematische Probleme zu lösen, ganz spielerisch und ohne dass mir das bewusst wurde. Später in der Schule ist mir das Schulfach immer leichtgefallen; auch deshalb habe ich mich entschieden, Mathematik zu studieren. Ohne so richtig zu wissen, was ich später damit beruflich machen will, war ich davon überzeugt, dass ein Abschluss in Mathematik ein guter Startpunkt für den Einstieg ins Berufsleben sein würde.Sie haben dann auch in Thessaloniki studiert ...
Ja, an der Aristoteles-Universität. 1991 habe ich mit dem Diplom in Mathematik abgeschlossen und bekam anschließend für das Promotionsstudium in Deutschland ein Stipendium des DAAD.

Und warum fiel die Wahl auf die Universität Siegen?
Weil diskrete Geometrie schon in der Uni mein Lieblingsfach war, wollte ich auch auf diesem Gebiet promovieren. Nachdem ich mir verschiedene Mathematik- Fachbereiche angeschaut hatte, habe ich mich für die Universität Siegen entschieden. Die Arbeitsgruppe um Professor Jörg Wills hat mir sehr gut gefallen. Trotzdem wusste ich nach meiner Promotion 1996, dass ich nicht an der Uni bleiben will. Die mathematische Forschungsarbeit war mir zu einsam. Ich habe mir einen Job in einem Unternehmen gewünscht.

Haben Sie den auch gleich gefunden?
Nein, das war gar nicht so leicht, denn ich hatte mich bis dahin nur mit reiner Mathematik beschäftigt und keine genaue Vorstellung davon, wo ich mit meinen Kenntnissen gebraucht werde. Deshalb habe ich mich an der Technischen Universität in Berlin für ein Aufbaustudium in Wirtschaftsmathematik eingeschrieben. Dort habe ich mich mit Programmierung und Softwareentwicklung beschäftigt und bekam einen ersten Job als Softwareentwicklerin für die Visualisierung von Terrain- und Wetterdaten. Das Handwerkliche daran hat mir sehr gut gefallen, allerdings war mir klar, dass ich das nicht für immer machen möchte.

Wie sind Sie zu Ihrem jetzigen Arbeitsgebiet IT-Sicherheit gekommen?
2002 habe ich durch ein Förderprogramm des Berliner Wirtschaftssenats für Uniabsolventen technischer Fächer eine Stelle in einem kleinen IT-Beratungsunternehmen gefunden. Dort hatte ich die Gelegenheit, mich in das Gebiet IT-Sicherheit einzuarbeiten und Erfahrung in Beratungsprojekten zu sammeln. Meine Arbeit hatte nur noch am Rande mit Wirtschaftsmathematik zu tun, zum größten Teil bestand sie aus Beratung und Projektmanagement.

Das, was Sie auch heute als Referentin im Bundesinnenministerium tun?
Ja, beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), wo ich 2004 zunächst anfing, habe ich gemeinsam mit anderen Kolleginnen und Kollegen Module konzipiert und weiterentwickelt, die für die Beratung im Bereich der IT-Sicherheit eingesetzt werden. Außerdem habe ich an der Entwicklung der BSI-Standards 100-1 bis 100-4 und der IT-Grundschutz-Kataloge mitgewirkt. Diese Standards geben, ähnlich wie die internationalen ISO-Standards, Unternehmen und Institutionen Empfehlungen zur sicheren Nutzung der Informationstechnik an die Hand sowie Methoden und Werkzeuge, die dazu dienen, Sicherheitsmaßnahmen zu identifizieren und umzusetzen. Für diese Sicherheitsstandards habe ich bei Wirtschaft und Verwaltung geworben und sie auch auf internationaler Ebene vertreten. Beim Bundesministerium des Innern, wo ich seit 2007 bin und bis vor kurzem als Referentin für IT-Sicherheitsmanagement gearbeitet habe, war ich für die Entwicklung und Abstimmung von Maßnahmen für die Informationssicherheit der Bundesverwaltung verantwortlich.

Welche konkreten Aufgaben sind damit verbunden?
Im Prinzip sehr viel Kommunikation – in erster Linie über E-Mail, aber auch in Besprechungen und bei der Zusammenarbeit in Gremien. Ich muss konzeptionell arbeiten, aber auch Informationen bündeln, Unterlagen für die Gremienarbeit vorbereiten und Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse koordinieren. Diese Koordinationsaufgaben werden in Zukunft noch mehr Raum einnehmen, denn seit April 2013 bin ich im Bundesinnenministerium im Bereich der Verwaltungsorganisation und Verwaltungsmodernisierung tätig. Bei meiner neuen Aufgabe, der Organisation der elektronischen Verwaltungsarbeit, geht es darum, die organisatorischen Fragen der elektronischen Verwaltung für die gesamte Bundesverwaltung übergreifend zu regeln und dabei insbesondere die Schnittstelle zwischen den Bereichen IT und Organisation im Blick zu haben.

Was bedeutet das genau?
Früher hat die Verwaltung ausschließlich mit Papier gearbeitet, und darauf waren auch die Geschäftsabläufe ausgerichtet. Beispielsweise basierte die Veraktung, also die transparente und nachvollziehbare Dokumentation aller entscheidungsrelevanten Unterlagen und Bearbeitungsschritte, standardmäßig auf Papier. Nun gilt es Wege zu finden, wie solche Grundprinzipien des Verwaltungshandelns sinnvoll und effizient in der digitalen Welt gewährleistet werden können.

Welche Tätigkeiten gefallen Ihnen besonders?
Das Organisieren und Managen von Prozessen ist das, was mir am meisten Spaß macht. Ich finde es spannend, Alltagsprobleme auf der Modell-Ebene zu abstrahieren und Vorgehensweisen beziehungsweise Regeln für ihre Behandlung zu generieren.

Arbeiten Sie auch mit anderen Mathematikerinnen und Mathematikern zusammen?
Die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen im Innenministerium haben Jura studiert. Und ich finde, die Kommunikation zwischen Juristen und Mathematikern klappt sehr gut. Es gibt auch ein paar Naturwissenschaftler/innen, und so kommt es vor, dass wir uns gegenseitig an der Art und Weise des Argumentierens erkennen, aber wir sprechen nicht über Mathematik.

Welche Bedeutung hat die Mathematik heute in Ihrem Arbeitsalltag?
Was von der Mathematik bleibt, ist das logische Denken, das Denken in Modellen. Als Mathematiker/in muss man allerdings zunächst einmal lernen, sich auch mit Lösungen zufriedenzugeben, die nicht absolut perfekt sind. Dieser Herausforderung immer wieder zu begegnen, macht mir aber sehr viel Spaß.

Welchen Rat würden Sie jungen Mathematikerinnen und Mathematikern auf den Weg geben, die einen Einstieg ins Berufsleben suchen?
Sie sollten sich auf jeden Fall auch in solche Bereiche vorwagen, die auf den ersten Blick nichts mit Mathematik zu tun haben.