Udo Richter ITAusbildung zum Mathematiker:
Mathematik (Diplom), Nebenfach Informatik, Uni Kassel ab 1994.Jetzige berufliche Position:
Software-Entwickler für industrielle Bildverarbeitung, Recop electronic, Kassel.

Wie haben Sie Ihre jetzige Stelle gefunden? Wie lange mussten Sie suchen?
Zeitungsanzeige, Internet-Anzeige. Gefunden nach einigen Wochen Suche ohne allzu große Eile.

Wie sieht Ihr typischer Arbeitsalltag aus? Welche Rolle spielt die Mathematik dabei?
Die Tätigkeit besteht überwiegend aus Software-Entwicklung und technischer Betreuung unserer Kunden in der Firma, aber auch Inbetriebnahmen und Service-Einsätzen beim Kunden vor Ort. Bildanalyse und Bilderkennung ist dabei prinzipiell mathematisch geprägt, und der typische mathematisch distanzierte Blick auf allgemeine Zusammenhänge hilft, einzelne Aspekte einzuordnen und ein allgemeineres Verständnis für das Problem an sich zu entwickeln, um darauf aufbauend neue Lösungsansätze zu entwickeln. Auch komplexere Steuerungsaufgaben profitieren von strukturierter Herangehensweise, um sich nicht im Chaos zu verstricken.

Sind Sie mit Ihrem Beruf zufrieden?
Ja. Der Beruf ist abwechslungsreich und immer wieder neu herausfordernd.

Finden Sie die Mathematik-Ausbildung an der Universität angemessen in Hinblick auf die beruflichen Herausforderungen? Haben Sie Verbesserungsvorschläge?
Wichtig ist der Praxisbezug. In der beruflichen Praxis wird man selten mit komplexen mathematischen Herausforderungen konfrontiert. Dafür ist fast immer von Vorteil, wenn man außerhalb der Mathematik Qualifikationen für den Beruf besitzt. Meine derzeitige Position habe ich nicht wegen meiner mathematischen Qualifikation erreicht, obwohl ich selbst vom Wert dieser Qualifikation für diesen Beruf vollkommen überzeugt bin.

Wenn Sie noch einmal Abiturient wären, würden Sie dann wieder Mathematik studieren?
Möglicherweise. Ich würde wohl wieder zwischen Mathematik und Informatik schwanken, kann aber klar sagen, dass ich die Entscheidung, Mathematik zu studieren, nie bereut habe.

Was bedeutet Ihnen persönlich die Mathematik?
Mathematik ist für mich, die Zusammenhänge der Welt klar zu sehen, Mechanismen hinter technischen Zusammenhängen zu sehen, die Dinge als logische Notwendigkeit erkennbar machen. Mathematik ist die Möglichkeit, einen Schritt zurück zu treten, und den Gesamtzusammenhang als Ganzes zu betrachten und zu verstehen, wo andere nicht über die einzelnen Teile hinweg schauen können.

Haben Sie Zeit (und Lust), sich neben dem Beruf über (für Sie) neue und aktuelle Bereiche der Mathematik zu informieren?
Leider nein, die Zeit dafür bleibt in der Regel nicht.

Interessieren Sie sich für philosophische Fragen im Zusammenhang mit der Mathematik?
Philosophische Fragen ergeben sich beim Studium der Mathematik von selbst. Die Tatsache, dass unterschiedlichste technische Zusammenhänge sich auf die gleiche Mathematik zurück führen lassen, stellen die Frage, in wie weit die Mathematik das Grundgerüst der Natur ist und ob gewisse mathematischen Zusammenhänge nicht zwingend entstehen müssen.

Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass die Mathematik in der Öffentlichkeit häufig negativ bewertet wird?
Das Bild der Mathematik in der Öffentlichkeit ist weitgehend durch schlechte schulische Erfahrungen geprägt. Viele Schüler werden in der 'Das verstehe ich sowieso nicht'-Falle zurück gelassen. Dabei kann nach meiner Erfahrung jeder alles verstehen, wenn man sich nur genug Zeit dafür lässt.
Dazu kommt der Eindruck, dass die meisten von der Schulmathematik nicht mehr als die Grundrechenarten benötigen, wenn überhaupt. Dass der Nutzen der Schulmathematik nicht im Beherrschen von Formeln und Integralen liegt, sondern in der Fähigkeit, Probleme systematisch und logisch anzugehen, und in der Fähigkeit, vielfältige Alltags-Problemstellungen auf wenige, typische Grundprobleme zurückzuführen, ist dabei nur den wenigsten Menschen wirklich bewusst.

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit zur Beantwortung unserer Fragen genommen haben!