Ich treffe Mareike Schmidtobreick an ihrem Arbeitsplatz bei der Firma disy in Karlsruhe. Seit kurzem gibt es einen Standort in einem neu erbauten Bürogebäude. Das befindet sich am äußersten Rand des Viertels, das auf dem Gelände des ehemaligen Bahnausbesserungswerkes am Südostende der Innenstadt in den letzten 15 Jahren entstanden ist. Mareike hat in Karlsruhe Mathematik auf Diplom studiert und anschließend am Karlsruher Institut für Technologie eine Promotion begonnen. Aus dieser Zeit kennen wir uns. Nach Umzug der Arbeitsgruppe zur Uni in Heidelberg hat Mareike ihre Promotion dort beendet und war für einige Zeit am Universitätsrechenzentrum in Heidelberg beschäftigt. Sie hätte das zu ihrer Lebensaufgabe machen können. Statt dessen ist sie seit 2018 bei der Firma disy tätig. Die Firma wirbt für sich mit: Software für Business & Location Intelligence. Das klingt zunächst wie ein Buzzword-Bingo-Doppeltreffer. Aber ich weiß, dass Mareike ihre Arbeit dort total spannend findet und vertraue darauf, dass wir im Gespräch herausarbeiten, was für Mathematik hinter den Schlagworten steckt.
Mareike Schmidtobreick im Gespräch mit einem Kollegen. Foto: Georg Kruggel
Die Rubrik heißt ja „Mathe studiert – und dann?“ - ich möchte das Gespräch lieber mit der Frage beginnen: „Mathe studiert – wieso?“ Konkret: was hast du dir versprochen, als du dich für ein Studium der Mathematik entschieden hast?
Wie ich zum Mathematik-Studium kam, ist tatsächlicheine interessante Geschichte. Kurz vor dem Abi wusste ich wie so viele nicht, was ich eigentlich nun machen will. Also habe ich mich gefragt, welches Fach mir in der Schule am meisten Spaß gemacht hat. Mathe war zwar in den ersten Jahren am Gymnasium eher nicht so mein Fall, aber es hat mir später wirklich Spaß gemacht – so sehr, dass ich schließlich auch einigen in meiner Klasse mathematisch auf die Sprünge geholfen habe. Deshalb dachte ich mir mit dem Abitur in der Tasche, dass ich damit einfach mal anfangen und derweilen immer noch überlegen kann, was ich dann endgültig für ein Studium wähle.
Und Karlsruhe hast du deshalb als Studienort ausgesucht, weil es in der Nähe war?
Ja – ich habe tatsächlich gar nicht recherchiert, ob Mathe in Karlsruhe einen guten Ruf hat oder ob die Bedingungen als Studentin dort gut sind – die Uni ist nicht klein und es sollte ja zunächst nur eine Übergangslösung sein.
Wie hast du dich im Verlauf deines Studiums spezialisiert?
Tatsächlich fand ich am Anfang Algebra als Arbeitsfeld am spannendsten. Allerdings kam dann im Lauf der zunehmenden Abstrahierung über die Semester der Punkt, an dem ich irgendwie abgehängt wurde. Stattdessen bot ein Seminar im Bereich der numerischen Mathematik eine für mich extrem spannende neue Thematik, und ich bekam darüber auch Zugang zu einer Arbeitsgruppe aus der angewandten Mathematik, in der spannende Fragen auf den Tisch kamen. Daraufhin habe ich mich in Richtung Numerik spezialisiert. Außerdem hatte ich Informatik als Nebenfach gewählt. Zunächst, weil das etwas war, was ich aus der Schulzeit noch gar nicht kannte. Aber in dem Moment, wo ich Richtung Numerik abbog, hat das natürlich super zusammengepasst, da ich in dem Feld auf alle Fälle programmieren konnte und technische Erfahrung mit Rechnern sehr hilfreich waren.
Was war denn das Thema deiner Diplomarbeit?
„Numerical methods on reconfigurable hardware using high level programming paradigms“ – Es ging darum, wie man numerische Algorithmen auf sogenannten Field Programmable Gate Arrays (kurz: FPGAs) so umsetzen kann, dass diese von vielen benutzt werden können. Eigentlich werden die FPGAs mit einer sehr speziellen Sprache programmiert, die nur wenige Informatiker wirklich lernen wollen. Ich wollte es ermöglichen, mit Hilfe weit verbreiteter sogenannter High-level-Sprachen übliche numerische Verfahren auf FPGAs zu portieren. In der Arbeit habe ich einige grundlegende mathematische Verfahren implementiert und zum einen betrachtet, wie einfach/ komplex dieser Implementierungsprozess ist und zudem natürlich auch untersucht, wie sich die Performanz bei der Ausführung auf FPGAs im Vergleich zu herkömmlichen Maschinen verhält.
FPGAs waren ja damals der heiße Scheiß . . .
Ja – ich glaube aber, die großen Hoffnungen von damals haben sich nicht ganz erfüllt. Der grundlegende Unterschied von FPGAs zu anderen Schaltungsarten ist, dass man nicht nach Belieben gezielt auf einzelne Daten zugreifen kann, sondern die Daten „gestreamt“ werden, d. h. man hat einen festen Ablauf, mit dem man die Daten bekommt. Diese werden dann auch sofort verarbeitet. Auf diese Arbeitsweise sind die herkömmlichen Programmiersprachen nicht angepasst und es hat sich herausgestellt, dass sich dieses Problem nicht so einfach lösen lässt, weil höhere Programmiersprachen mit existierenden Compilern arbeiten und das Übersetzen der Programme (das Kompilieren) über verschiedene Stufen hinweg schon recht lange dauert. Ich konnte mir in der Zeit, in der das Programm übersetzt wurde, einen Tee holen gehen – nur um dann mit etwas Pech festzustellen, dass ich einen Syntaxfehler gemacht hatte und das Programm nicht durchgelaufen war. Und nach der Berichtigung musste ich alles neu starten. Das war doch sehr mühsam.
War die Zeit und die Arbeit an deiner Diplomarbeit der Punkt, an dem sich für dich herauskristallisiert hat, dass du promovieren möchtest?
Tatsächlich hätte ich mir früher gar nicht vorstellen können zu promovieren. Aber in der Diplomarbeit habe ich gemerkt, dass es mir Freude macht, an einem Problem in aller Tiefe zu arbeiten und die nötige Zeit zu investieren. Deshalb war anschließend die Idee, das einige Jahre im Rahmen einer Promotion zu tun, nicht mehr so abwegig.
Was sind denn die wichtigsten Erfahrungen aus deiner Promotionszeit oder, anders gesagt, konkrete Fähigkeiten, die dir heute noch nützlich sind? Man wünscht sich ja, dass man außer dem Doktortitel noch etwas mehr aus der langen Zeit an der Uni mitnimmt.
Die Promotion war deshalb besonders attraktiv, weil ich eine Stelle in einem echt spannenden Projekt angeboten bekam. Es ging um die Entwicklung eines neuen parallelen Programmierparadigmas, das anders funktioniert als bisherige parallele Sprachen, und das klang total spannend. Es vereinte in sich die Herausforderung, etwas ganz Neues zu machen mit der Aufgabe zu prüfen, wie man das schließlich in der Praxis, in meinem Fall in der numerischen Mathematik, überhaupt einsetzen kann.
Was habe ich am Ende mitgenommen? Als erstes fallen mir dabei nicht-fachliche Punkte ein: Durchhalten und Stehvermögen. Denn es gab natürlich auch Tiefpunkte. Das kennt jeder, der schon so ein Langzeitprojekt bearbeitet hat. Außerdem muss man sich in Themenfelder tief einarbeiten, über die man vorher nichts weiß. Das braucht ein bisschen Mut, bringt aber auch die Erfahrung, dass man das schafft. Zudem lernt man hierbei, sich selbst zu strukturieren, damit man einen roten Faden verfolgt. Und natürlich fallen auch jede Menge neuer inhaltlicher Themen ab, über die man am Ende etwas weiß.
In der Zeit habe ich auch gelernt, wie man im Team gemeinsam an Projekten (wie z. B. Software, die in einer Arbeitsgruppe entsteht) arbeiten kann und dafür sorgen kann, dass diese stringent bearbeitet und beendet werden. Konkret habe ich in meiner Zeit am Universitätsrechenzentrum auch Projekte koordiniert und umgesetzt. Hier wurde ich auch gerne in Besprechungen außerhalb meiner Projekte hinzugezogen, da ich gerne dafür sorge, dass explizit kommuniziert wird und man sich nicht in Themen verrennt. Ich kann gut zusammenfassen und sorge auch dafür, dass konkrete nächste Schritte und Ziele festgehalten werden – inklusive der Festlegung von Verantwortlichkeiten.
Ein weiteres Erfahrungsfeld dieses Lebensabschnittes war, dass ich schon in meiner Zeit als Studentin und während der Promotion viele andere Interessen pflegte. Auf der Freilichtbühne Ötigheim hatte ich besonders im Sommer viele Auftritte, ich habe in diversen Chören gesungen, habe Sport getrieben und hatte Spaß mit Freunden. Dafür nahm ich mir Zeit. Ich wusste, dass mich das für die Arbeit an mathematischen Fragen wieder fit machte.
Nach der Promotion hattest du die Gelegenheit, dauerhaft an der Uni zu bleiben. Du hast dich aber dagegen entschieden und dich in der Industrie umgesehen. Heute arbeitest du in der Firma disy. Was wird hier gemacht?
Disy ist im Bereich Business & Location Intelligence unterwegs. Es geht also grundsätzlich zum einen um die Analyse von Daten und zum anderen auch um zugehörige geographische Darstellungen und Analysen. Konkret haben wir eine Software Cadenza, mit der man vorhandene Informationen in unterschiedlichster Art und Weise darstellen, zusammenfassen und auswerten kann. Diese Software hat reichhaltige Funktionalitäten und ermächtigt die Nutzer dazu, selbst zu wählen, in welcher Form Veränderungen, Tendenzen und Entwicklungen am sichtbarsten dargestellt werden. Alternativ können auch vorgefertigte Berichte erstellt werden, die z. B. turnusmäßig produziert und verschickt werden können. Cadenza wird derzeit vor allem von Behörden in Deutschland und Österreich genutzt, aber auch von Kunden aus anderen Bereichen.
Der Beginn der Entwicklung vor etwa 20 Jahren lag im Umweltbereich. Heute ist es auch Verbraucherschutz, Landwirtschaft, Jagd- und Forstwirtschaft, Verkehr (z. B. Lärmkartierung für die Bahn) oder der Einsatz für die Bedürfnisse der Polizei. Außerdem haben wir auch eine Forschungsabteilung, in der wir mit Universitäten und anderen Partnern an Forschungsprojekten zusammenarbeiten.
Ich könnte mir also konkret vorstellen: Ich wähle eine Karte, die mit Informationen angereichert ist, und ihr sorgt dafür, dass ich aus diesen Informationen Schlüsse ziehen kann?
Tatsächlich ist das nur eine Möglichkeit. Es geht in der Regel auch nicht ausschließlich nur darum, Daten in einer Karte anzuzeigen. Zum einen können wir in der Karte die gegebenen Daten um weitere Information anreichern, z. B. durch Geocoding, Einzeichnen von Geometrien etc. und zum anderen können die Daten je nach Bedarf auch als (Pivot-)Tabelle, als Kreis- oder Balkendiagramm oder über einen zeitlichen Verlauf sinnvoll dargestellt und aggregiert werden. Das richtet sich danach, was der Kunde braucht und woraus er nötige Informationen am besten ablesen kann.
Man muss sich also entscheiden: was passt zu meinen Daten. Teilweise machen die Kunden sehr viel selber, teilweise unterstützen wir sie jedoch von Anfang an. Manche Kunden kommen einfach mit ihren Daten, die z. B. in Excel-Dateien oder einer Datenbank vorliegen, und möchten daraus nachvollziehbare Schlüsse ziehen können. Manchmal sind die Fragestellungen schon bekannt, manchmal müssen diese erst erarbeitet werden. Wir müssen dann fragen: in welcher Form liegen eure Daten vor, was können wir mit diesen Daten machen, was möchtet ihr mit diesen Daten machen? Vielleicht müssen wir die Daten vorher in ein anderes Format übertragen. Wir begleiten unsere Kunden je nach Bedarf also nicht nur im Punkt der eigentlichen Datenvisualisierung und -analyse, sondern auch umfassend in den Schritten der Datenaufbereitung, DWH und Anbindung an den eigenen Betrieb. Die gemeinsame Erarbeitung dieses Projektgerüstes finde ich ganz besonders spannend, denn dann muss man gemeinsam verstehen, wohin die Reise geht.
Mit welchen Kollegen und Kollegen arbeitest du hier zusammen?
Inzwischen gibt es bei disy tatsächlich ein paar mehr Mathematiker – aber wir sind nicht in der Mehrheit. Es ist sehr gemischt und viele haben Geodäsie, Geoinformatik oder Informatik studiert.
Wir brauchen ja auch sehr unterschiedliche Fähigkeiten. Einige kennen sich sehr gut mit Datenbanken aus, andere können sehr gut mit den Kunden reden und ihre Wünsche klar herausarbeiten. Manche kennen sich gut mit Datentransferprozessen aus. Da auch, wie bereits erwähnt, die Anforderungen je Kunde sehr unterschiedlich sein können, nicht nur in der Daten- oder Themenkomplexität, sondern auch im Umgang mit den Daten und Cadenza, brauchen wir jeweils angepasstes Wissen.
Was findest du an deiner Arbeit schöner: Die Programme zum Laufen zu bringen oder mit den Kunden zusammen herauszufinden, wie die Daten am besten aufbereitet werden können?
Das kann ich nicht so einfach beantworten, denn mir macht beides total Spaß und ich werde daher auch in verschiedenen Projekten unterschiedlich eingesetzt. Ich möchte immer am liebsten Wissen in allen Bereichen haben, kann dadurch aber auch nicht zu stark in die Tiefe gehen, was mich dann wiederum wurmt. Zu Beginn meiner Zeit bei disy musste ich mir auch erst ein grundlegendes technisches Wissen aneignen. Zum Beispiel hatte ich Datenbanken im Studium und der Promotion als Mathematikerin nie benutzt oder Daten nicht transformieren und bearbeiten müssen. Ich arbeite als Beraterin, d. h. ich habe Projekte, in denen ich mit den Kunden direkt an der Umsetzung arbeite. Es macht mir Spaß, hierbei herauszukitzeln, was der Kunde wollen könnte. Das geht einerseits in direkten Gesprächen, aber andererseits auch in eigener Informationserhebung darüber, was eigentlich typische Probleme in dem vorliegenden Fach sind. Hilfreich ist dabei: ich strukturiere unglaublich gern Dinge. Das ist in dieser Findungsphase mit Kunden sehr nützlich, denn ich muss die Informationen so strukturieren und aufbereiten, dass sie in eine passende Datenanalyse und gut geeignete Darstellungen münden. Auch hilft es mir beim Moderieren von Gesprächen, dass ich sofort bemerke, wenn Leute abschweifen – dann fasse ich zusammen und führe das Gespräch wieder in die richtige Richtung.
Ich bin aber auch an der Produktentwicklung beteiligt und muss überlegen: Welche Features möchten wir in Cadenza in der Zukunft haben, oder wie passt ein geplantes Feature zu den Kundenwünschen. Teilweise kommen Featurewünsche von den Kunden selbst, oder wir selbst sehen, dass es diesen Wunsch bei Kunden in der nahen Zukunft öfter geben wird. Dann müssen wir uns überlegen, wie man das gestalten sollte und mit welchem Workflow es am besten gelingt. Was brauchen wir dafür genau und wie soll das am Ende funktionieren? Daneben bin ich auch beteiligt an der Weiterentwicklung der Organisation der Firma – konkret in der Abteilung, in der ich jetzt arbeite. Die Firma wächst gerade sehr stark. Es gibt hier auch einen Wechsel, wie Kunden unseren Service nutzen: Früher wollten sie in der Regel aufbereitete Berichte zu ihren Daten abrufen – heute ist es eher Selbstbedienung, d. h. die Kunden möchten ihre Daten selbst in das System laden und selbst entscheiden, welche Informationen sie auf welche Weise aus den Daten ableiten. Hier entwickelt sich eine neue Kultur zusammen mit den Möglichkeiten heutiger Technik und der Verfügbarkeit von immer mehr Daten.
Was siehst du für Entwicklungsmöglichkeiten für dich hier in den nächsten Jahren?
In den drei Jahren, in denen ich hier arbeite, habe ich mich schon spürbar weiterentwickelt. Jetzt bin ich schon in der Produktentwicklung beteiligt und in der Weiterentwicklung der Firma. Gerade dieser Tage sind wir dabei, unsere Visionen dazu aufzuschreiben, wie es weitergehen kann. Ich weiß, dass ich gerne in der Beratung bleiben möchte, um mit Kunden eng zusammenzuarbeiten. Wie das genau aussehen wird, darüber machen wir uns gerade ein klares Bild.
Deine Frage gefällt mir gut, denn dies war eine entscheidende Frage, die ich mir gestellt habe, bevor ich mich in der Industrie beworben habe: Kann ich dort mitgestalten, wie meine Arbeit aussieht? Ich hatte mich entschieden, dass ich nicht bis zur Rente am Rechenzentrum in Heidelberg bleiben möchte und mir eine Auszeit genommen, in der ich gereist bin. In der Zeit habe ich mir vor allem sehr genau überlegt, wie ich meine Arbeitszeit verbringen möchte und wie nicht. Ich hatte dann einige Bewerbungsgespräche und entsprechende Angebote, in unterschiedlichen Firmen mitzuarbeiten. Früher hätte ich gedacht: ich möchte in einem Konzern Karriere machen. Ich weiß auch nicht genau warum – ob man das unbewusst so eingetrichtert bekommt, dass man auf einer sicheren Stelle Karriere machen sollte? Ich habe dann aber festgestellt: In einem großen Konzern habe ich weniger Entwicklungsspielraum, und die Aufgaben, die mir konkret angeboten wurden, waren tatsächlich nicht so interessant. Schließlich hatte ich neben disy noch ein anderes Angebot näher erwogen und zwischen den beiden habe ich mich dann für disy entschieden, weil ich das Gefühl hatte, man kann hier am meisten mitgestalten, und weil die Themenfelder vielfältiger und spannender sind. Diesbezüglich wurde ich auch nicht enttäuscht und ich erfahre für meine Arbeit viel direkte Wertschätzung.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Gudrun Thäter, KIT.