Viola Paschke ist Softwareentwicklerin für die Metallindustrie. Darauf hat sie im Mathematikstudium nicht hingearbeitet, sie ist eher hineingestolpert in die Branche. Mittlerweile arbeitet sie seit vier Jahren für das Software-Unternehmen PSI Metals in Berlin. Ob Thyssen in Deutschland, Tata Steel in Indien oder Erdemir in der Türkei, Stahlwerke auf allen Kontinenten nutzen die Software für ihre Produktion. Paschkes Aufgabe ist es, die Standardsoftware an die Erfordernisse des jeweiligen Stahlproduzenten anzupassen. Schon bald will die junge Mathematikerin aber weiterziehen und andere Branchen erkunden.

PaschkeViola Paschke. Foto: Christoph Eyrich

Frau Paschke, wie sind Sie zum Software-Unternehmen PSI Metals gekommen, dem „weltweit führenden Anbieter für Produktionsmanagement in der Metallindustrie“ – wie es auf derWebsite heißt?

Mir war klar, dass ich nach der Uni in der Anwendung arbeiten möchte. Also habe ich mich, nachdem ich 2016 mein Mathestudium an der TU Berlin abgeschlossen hatte, bei verschiedenen Unternehmen beworben, vorwiegend in Berlin. Ich hatte mehrere Angebote, habe mich aber letztendlich für PSI entschieden, wegen der Mischung aus eigenständiger Programmierarbeit und Teamarbeit. Außerdem wollte ich Projektarbeit kennenlernen, weil die eine gewisse Vielseitigkeit verspricht.

Es war also nicht die Industrie, die Sie gelockt hat.

Nein. Es war mehr die Art, wie man dort arbeitet. Die Stellenausschreibung hat ein bisschen was darüber ausgesagt und dann hat mir ein ehemaliger Kommilitone, der heute noch bei PSI Metals arbeitet, die Stelle empfohlen und ein bisschen was von der Arbeit erzählt. Dadurch hatte ich einen guten Einblick. Und dann war auch die Atmosphäre beim Bewerbungsgespräch ganz nett, das hat mir zugesagt.

War das rückblickend eine gute Entscheidung?

Ja, auf jeden Fall. Ich habe viel gelernt und wichtige Erfahrungen gesammelt. Die Atmosphäre im Kollegium ist angenehm, ich habe mich dort wohlgefühlt.

Wussten Sie schon als Studentin, dass Sie einmal Softwareentwicklerin werden möchten?

Nein, das war mir nicht klar. Aber in meiner Masterarbeit und auch als ich als studentische Hilfskraft gearbeitet habe, da habe ich etwas mehr programmiert und gemerkt, dass mir das Spaß macht.

Haben Sie auch die entsprechenden Seminare und Vorlesungen gewählt?

Nein. Bei den Leistungspunkten, die man im Wahlbereich machen kann, habe ich was anderes als Mathe oder Informatik gewählt, weil ich auch an ganz anderen Dingen interessiert bin. Also habe ich Veranstaltungen in Neurowissenschaften, Biopsychologie oder Bauingenieurwesen belegt.

Und dass Sie Mathematik studieren, stand das von vornherein fest?

Es war mein Lieblingsfach in der Schule, also stand Mathematik schon mal hoch im Kurs. Aber ich hatte auch noch andere Studienfächer im Kopf, die Richtung Anwendung gehen – erstmal Physik, obwohl das auch eher theoretisch ist, und dann vor allem Ingenieurstudiengänge. Letztlich habe ich mich für Mathe entscheiden, einfach weil es mich gereizt hat und weil man sich damit nicht gleich auf ein Anwendungsgebiet festlegt.

Was machen Sie genau als Softwareentwicklerin bei PSI Metals?

Die Stelle war damals als Softwareentwicklerin ausgeschrieben, wobei Programmierkenntnisse nicht unbedingt erforderlich waren, es wurde eher geschaut, ob man die Fähigkeit hat, das zu lernen. Meine Tätigkeiten hängen ein bisschen davon ab, in welcher Phase sich ein Projekt befindet. Momentan arbeite ich in einem Projekt für einen sehr großen Stahlproduzenten in den USA. Vor einem halben Jahr haben wir damit angefangen, die Anforderungen, die der Kunde an unsere Software hat, zu spezifizieren und festzulegen, was umzusetzen ist. Das ist notwendig, um deren Produktionssystem in unserer Software abzubilden.

Die Standardsoftware muss also an die Abläufe im Stahlwerk angepasst werden. Können Sie das erläutern?

Es gibt verschiedene Komponenten: Planung, Produktion, Qualität und Logistik. Unsere Software steuert die gesamten Prozesse im Stahlwerk. Ich arbeite in der Qualitätskomponente. Das heißt, ich bin vor allem zuständig für die Probenplanung, die Probendurchführung und die Materialfreigabe. Das Material, der Stahl, muss bestimmte Eigenschaften haben. Er muss zum Beispiel druckfest sein und zugfest, damit er später nicht bricht, wenn er zum Beispiel in einen Kran eingebaut ist. Für diese Qualitätskontrolle bietet unser Standardprodukt verschiedenste Lösungen. Einiges kann konfiguriert und so an die Bedürfnisse des Kunden angepasst werden. Meiner Erfahrung nach müssen aber auch viele Elemente und Funktionalitäten neu hinzugefügt werden.

Also ganz neu programmiert werden. Haben Sie ein Beispiel?

Das Stahlwerk kann bestimmte Vorgaben von seinen Kunden haben; zum Beispiel, dass immer mindestens ein Blech innerhalb einer Schmelze geprüft werden muss und zwar mit Druck und mit Zug. Es gibt auch speziellere Anforderungen, beispielsweise, dass einmal das dickste und einmal das dünnste Blech beprobt werden muss. Solche Anforderungen sind nicht in der Standardsoftware abgebildet, da muss ich dann überlegen, wie ich das am besten umsetzen und dann auch programmieren kann.

Das heißt, nicht nur die Produktion, auch die Qualitätsprüfung ist komplett automatisiert.

Ja, die einzelnen Schritte für die Qualitätssicherung werden durch bestimmte Aktionen getriggert. Zum Beispiel wird die Probenplanung automatisch angestoßen, wenn der Stahl geschnitten wird. Und die Qualitätsbewertung wird zum ersten Mal berechnet, wenn das Blech für den Kunden entsteht.

Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie Sie das alles am Bildschirm überblicken, ohne die Abläufe der Stahlherstellung und Qualitätsprüfung vor Ort im Stahlwerk in den USA gesehen zu haben.

Naja, optimaler Weise ist man in der Spezifikationsphase auch mal vor Ort beim Kunden.

War das in dem laufenden Projekt der Fall?

Nein, wegen Corona war das nicht möglich. Normalerweise finden Workshops vor Ort beim Kunden statt, um einen besseren Einblick zu bekommen. Der Projektleiter war trotz Corona für zwei Wochen in dem Stahlwerk und hat Bilder mitgebracht. So bekommt man einen Eindruck und man weiß auch schon von früheren Projekten, wie die Stahlproduktion und die Qualitätsprüfung im Stahlwerk normalerweise ablaufen. Da unterscheiden sich Stahlwerke nicht so doll voneinander.

Sie haben also mittlerweile eine gute Vorstellung davon, wie die Stahlherstellung abläuft und sind auch nur für den Teil verantwortlich, wo es um die Qualitätsprüfung geht.

Ja, aber trotzdem gibt es auch Schnittstellen zu den anderen Komponenten, denn ohne dass es eine Planung gab, ohne dass etwas produziert wurde, macht meine Komponente keinen Sinn. Das heißt, es gibt schon Verbindungen zu den anderen Komponenten und man lernt immer mehr auch, wie diese funktionieren.

Können Sie die einzelnen Projektphasen noch einmal genauer erläutern?

In der Spezifikationsphase werden die Anforderungen spezifiziert und festgelegt, das passiert meistens in Workshops zusammen mit dem Kunden. Da sind dann die Spezialisten von uns aus dem jeweiligen Bereich und eben auch von der Kundenseite dabei. Mein Job ist es, erst mal klarzustellen, was erwartet wird und wie wir das umsetzen können. Das wird in einem Pflichtenheft festgehalten und das ist später auch die Basis, auf die man sich immer wieder bezieht. Für mich ist es die Basis dafür, was ich im nächsten Schritt, in der Implementierungsphase, mache, wenn ich die verschiedenen Anforderungen umsetze. Bei komplexen Aufgabenstellungen ist es gut, vorher ein Design dafür zu schreiben, damit man nicht anfängt und nachher merkt, dass es so gar nicht geht. Danach geht es wirklich ans Programmieren und das ist dann auch der Hauptteil der Arbeit für mich. Und dann müssen schon beim Programmieren die Funktionalitäten immer wieder getestet werden.

Zusammen mit dem Stahlwerk . . .

Nein, das mache ich erst mal nur für mich, auch wenn man dem Unternehmen zwischendurch immer etwas schicken oder vorstellen kann, um zu überprüfen, ob das deren Wünschen entspricht – um auf Nummer sicher zu gehen. Und natürlich können zwischendurch auch immer wieder Probleme auftreten, die man gar nicht auf dem Schirm hatte. Deshalb besteht auch in der Programmierphase durchgehend Kontakt zum Kunden. Und dann kommt bald der FAT, der Factory Acceptance Test. In dieser Phase befinde ich mich gerade, beziehungsweise kurz davor. Der FAT ist ein Integrationstest, da werden Testfälle geprüft, die im Produktivsystem des Kunden genau so auftreten könnten. Es wird getestet, ob unsere Software diese bewältigen kann, also für das Werk zulässig ist.

Eine Art Simulation.

Ja, genau. Das passiert alles auf unserem Entwicklungssystem. Aber der Kunde ist dabei – im Moment vorwiegend remote – und der stellt auch die Testfälle und Testdaten zur Verfügung. Der kommende FAT wird insgesamt drei Wochen dauern, da werden alle Komponenten durchgetestet, mehr als zehn verschiedene Bereiche, mein Teil dauert zwei Tage. Die Zeit vor dem FAT ist meistens etwas stressig, man hat viel zu tun. Wir hoffen natürlich, dass der FAT bestanden wird. Aber eigentlich ist es unabhängig davon immer so, dass noch Anpassungen gemacht werden, bevor unsere Software in Betrieb geht. Der FAT ist wie eine Generalprobe, um Probleme aufzuzeigen oder Anpassungen zu machen. Wir haben dafür jetzt noch ein halbes Jahr, genügend Zeit, um später ein reibungsloses „go live“ hinzubekommen.

Wie lange zieht sich so ein Projekt?

Das Projekt für das US-Stahlwerk hat vor etwa einem dreiviertel Jahr begonnen. Aber manche Projekte dauern länger, mein letztes hat insgesamt drei Jahre in Anspruch genommen. Es kann immer sein, dass ein FAT oder eine Inbetriebnahme verschoben wird und auch danach können noch Störungen auftauchen. Auch in der Phase stehen wir für unsere Kunden zur Verfügung.

Das heißt, solche Projekte dauern meist mehrere Jahre.

Ja, genau.

Mit wem arbeiten Sie im Projektteam zusammen, gibt es andere Mathematiker?

MathematikerInnen und InformatikerInnen sind vertreten, aber es gibt auch einige KollegInnen, die aus dem Ingenieurwesen kommen und Erfahrung in der Metallindustrie haben. Und dann gibt es Kolleginnen und Kollegen, die Consulting machen, Sales oder Projektmanagement und die haben dann natürlich noch einmal eine andere Ausbildung und andere Berufserfahrung.

Gibt es Aufgaben in den verschiedenen Projektphasen, die Sie besonders gerne übernehmen?

Ich glaube, mir gefällt vor allem die Abwechslung in den Projekten; dass man erst viel Kundenkontakt hat und die Anforderungen nachvollziehen und dann niederschreiben muss. Bei der Programmierarbeit arbeitet man mehr für sich – aber man muss auch immer wieder Absprachen treffen mit dem Projektleiter und den Kollegen im Team, die für die anderen Komponenten verantwortlich sind. Optimaler Wochen ein Teammeeting. Da sagt man, woran man arbeitet, damit nicht jeder nur sein Ding macht und vor sich hin programmiert. Man spricht sich ab, denn am Ende muss alles zusammenpassen. Das finde ich auch gut so. Aber am meisten Spaß macht es mir, über eine Umsetzung nachzudenken, eine Lösung zu finden und diese anschließend zu programmieren.

Wie groß ist so ein Team?

Das ist vom Projekt abhängig. Bei meinem ersten Projekt waren wir nur ein Kern von fünf bis zehn Leuten, zwischenzeitlich wurde aber aufgestockt – die Zahl kann je nach Projektphase variieren. Aktuell habe ich auch Meetings, bei denen 20 bis 25 Leute dabei sind.

Gibt es noch andere typische Tätigkeiten?

Wenn es um Absprachen mit dem Kunden oder innerhalb des Teams geht, telefoniere ich auch viel, schreibe Mails oder habe Online-Konferenzen. Momentan habe ich außerdem die Aufgabe, zwei neue Kollegen einzuarbeiten. In meinem Bereich suchen wir immer neue Kollegen. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass der Quality-Bereich etwas komplex ist, aber offenbar ist es nicht so leicht, Leute abstreiten, dass die anderen nicht auch komplex sind [lacht], aber ich glaube bei Abläufen wie der Produktion, da kann man sich vielleicht leichter ein Bild machen, das ist anschaulicher. Bei der Standardlösung für Quality passiert sehr viel an interner Logik, was man so nicht vor Augen hat. Diesen Standard-Qualitätsprozess zu verstehen, sich da reinzudenken, das ist nicht so einfach.

Sie haben Ihre Stelle zum Sommer gekündigt, warum? Liegt das an der Branche?

Es liegt nicht nur an der Branche, auch an der Software. Ich möchte einfach noch einmal was anderes kennenlernen. Das ist ja meine erste Stelle nach der Uni und ich habe während des Studiums nie ein Praktikum gemacht oder in einem Unternehmen gearbeitet. Ich würde gerne sehen, wie andere Unternehmen arbeiten, wie andere Software funktioniert und auch noch mal eine andere Programmiersprache kennenlernen.

Das System bei PSI beruht auf Java . . .

Unsere Benutzeroberfläche ist Java, aber das, was ich programmiere ist PLSQL. SQL kennt man und PLSQL ist die Programmiersprache, die auf der Oracle-Datenbank basiert. Das ist nicht die gängigste und auch nicht die modernste Programmiersprache.

Und wo soll die „Reise“ beruflich hingehen?

Das ist noch nicht sehr konkret. Ich werde mir erst mal eine Auszeit nehmen. Aber ich habe Ideen. Branchen, die ich interessant finde, sind zum Beispiel Umwelt, nachhaltige Energien, Medizintechnik oder Neurowissenschaften. Diese Anwendungsbereiche haben mit Themen zu tun, über die ich mehr erfahren möchte. Bei der Medizin ist es interessant zu erfahren, wie der Mensch funktioniert oder welche Geräte es gibt und wie man sie optimieren kann, um den Menschen zu helfen. Und wegen des Klimawandels gibt es auch immer mehr sehr interessante aktuelle Anwendungen im Umweltbereich. Wenn man selber hinter einem Produkt steht, dann hat man, glaube ich, noch einmal eine ganz andere Motivation.

Würden Sie angehenden Mathematikerinnen und Mathematikern die Metallindustrie empfehlen, und was kann man tun, um sich vorzubereiten?

Zunächst einmal würde ich sagen, dass es selbst, wenn man da so reinstolpert wie ich, sein kann, dass man da für immer arbeiten möchte. Weil einem die Tätigkeit einfach so viel Spaß macht. In der Spezifikationsphase habe ich sehr viel Kontakt mit der Metallindustrie, da merkt man, in welcher Branche man arbeitet. Aber bei meinen Programmieraufgaben, da merke ich eigentlich nicht, dass ich gerade für die Metallindustrie arbeite. Sich groß vorbereiten darauf muss man sich im Studium, glaube ich, nicht. Ich kannte auch die Programmiersprache nicht, die lernt man „learning by doing“.

Wenn Sie sich jetzt nicht gleich auf die nächste Stelle bewerben, was haben Sie dann vor?

Ich gönne mir, wie gesagt, eine Auszeit. Das ist schon ein kleiner Luxus, den man hat, wenn man Mathe studiert, denn man ist sehr gefragt auf dem Arbeitsmarkt. Außerdem mag ich es, zwischendurch mal rauszukommen und etwas ganz anderes zu machen. Ursprünglich war die Idee, durch Neuseeland oder Kanada zu reisen oder dort Freiwilligen-Arbeit zu machen. In beiden Ländern gibt es eine faszinierende Natur, dort durchzuwandern mit meinem Gepäck auf dem Rücken und im Zelt zu übernachten, das finde ich sehr erfüllend. Wegen der Reisebeschränkungen durch Corona werde ich wohl Fahrradtouren durch Europa unternehmen. Da werde ich sicher genügend Möglichkeiten finden.

Frau Paschke, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen viel Glück und viel Erfolg bei Ihren Reisen – im Beruf und in der Natur.

 

Das Gespräch führte Kristina Vaillant,
freie Journalistin in Berlin.
www.vaillant-texte.de