Die aktuellen Bildungsreformen gehen nach Meinung des DMV-Vorsitzenden in eine vollkommen falsche Richtung: „Die letzte Reform des Gymnasiums (G8-Reform) hat weniger Schulunterricht, weniger Zeit für echtes Lernen und vor allem auch weniger Mathematik gebracht - das verschenkt Bildungschancen für die Schülerinnen und Schüler und gefährdet angesichts des absehbaren Fachkräftemangels letztlich Deutschlands Zukunft als führende Industrienation", erläutert Prof. Günter M. Ziegler. Die Mathematik sei bekanntlich die ‚Mutter aller Schlachten‘ in der Bildungspolitik, erklärt der DMV-Präsident weiter und zitiert damit den früheren Bundesaußenminister Klaus Kinkel, der sich heute als Vorsitzender der Deutschen Telekom Stiftung für die Verbesserung des Mathematik-Unterrichts in den Schulen engagiert. „Wer die Bildungszukunft Deutschlands verbessern möchte, der muss deshalb auch und vor allem den Mathematikunterricht verbessern", so Ziegler. Hierfür seien konkrete Maßnahmen nötig, die die positiven Entwicklungen der vergangenen Jahre verstärken und Fehlentwicklungen korrigieren:

  • Ausweitung des Mathematikunterrichts 
    Die Umstellung auf das achtjährige Gymnasium (G8) hat in der Praxis zu einer Reduzierung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts geführt. In einigen Bundesländern sind damit bis zu 200 Stunden Unterricht in Mathematik weggefallen. Der diesjährige Bildungsbericht der Bundesregierung stellt jedoch fest, dass Mathematikunterricht gerade dann erfolgreich ist, wenn Aufgaben mit einem hohen kognitiven Anforderungsniveau verwendet werden. Dies ist aber nur möglich, wenn Lehrenden und Lernenden mehr Zeit eingeräumt wird. Die Schulen brauchen Luft zum Atmen - besonders im Mathematikunterricht. Erst dann kann echtes Lernen stattfinden.
  • Mehr Engagement für die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften 
    Laut Bildungsbericht wird in den nächsten 15 Jahren voraussichtlich rund die Hälfte der derzeitigen Lehrkräfte an Schulen in den Ruhestand gehen. Besonders in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern wird dies zu einer starken Nachfrage nach Lehrkräften führen. Da die heutigen Lehramtsstudierenden den zukünftigen Bedarf nicht decken, werden Schulen noch häufiger als heute so genannte Seiteneinsteiger einstellen.

Laut Bildungsbericht hängt aber die Qualität des Mathematikunterrichts stark vom fachdidaktischen Wissen der Lehrkräfte ab. Daher müssen Bund und Länder aus Sicht der DMV noch stärker in die Aus- und Weiterbildung investieren.

  • Stärkere Vernetzung von Schulen und Universitäten 
    In vielen Universitätsstädten haben sich in den vergangenen Jahren Netzwerke zwischen Universitäten und Schulen gebildet, die zu einer deutlichen Verbesserung der Aus- und Weiterbildungsangebote für Mathematiklehrer und -lehrerinnen geführt haben. Lehrkräfte bekommen auf diese Art und Weise auch nach ihrem Studium noch Anregungen aus den Universitäten und bringen wiederum ihre Erfahrungen in die Didaktikforschung ein. Diese Netzwerke müssen weiter ausgebaut werden.
  • Erhöhung des Betreuungsverhältnisses für Studierende der Mathematik
    Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung unterstützt Forderungen der Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz Prof. Dr. Margret Wintermantel nach einem gemeinsamen Handeln von Bund und Ländern zur Beseitigung der Unterfinanzierung des deutschen Hochschulsystems. Der diesjährige Bildungsbericht verdeutlicht den dringenden Handlungsbedarf: Im europaweiten Ländervergleich sind die Absolventenquoten in den MINT-Fächern in Deutschland viel zu niedrig. Vor allem für die Ingenieurwissenschaften muss zukünftig mit einem hohen altersbedingten Ersatzbedarf auf dem Arbeitsmarkt gerechnet werden.

Laut Bildungsbericht brechen etwa 30 Prozent der Studierenden der Mathematik sowie der naturwissenschaftlichen und technischen Fächern ihr Studium vorzeitig ab. Dies liegt auch an dem ungünstigen Betreuungsverhältnis von Dozenten und Studierenden.

„Mein Appell geht daher an die Bildungspolitiker in Bund und Ländern: „Stellen Sie durch gezielte Investitionen sicher, dass die Qualität des Mathematikunterrichts und die Lehreraus- und -weiterbildung verbessert wird", sagt Prof. Ziegler. „Wenn Sie die Schulen reformieren", so der DMV-Vorsitzende, „dann in diese Richtung: Wir brauchen mehr Mathematik und Naturwissenschaft in den Schulen, und mehr Zeit für die Schülerinnen und Schüler zum echten Lernen."

Neben dem Engagement von Bund und Ländern wünscht sich die DMV weitere Unterstützung aus dem öffentlichen und privaten Sektor. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang das Engagement der Deutschen Telekom Stiftung. Mit insgesamt fünf Millionen Euro will die Stiftung an den Hochschulen inhaltliche und strukturelle Verbesserungen anstoßen und damit deren Profilierung in der MINT-Lehrerbildung stärken. Im Rahmen des Projekts „Mathematik Anders Machen" unterstützen die Deutsche Telekom Stiftung und die DMV schon jetzt Mathematiklehrerinnen und -lehrer aller Schulformen bei der Konzeption ihrer Unterrichtsinhalte. Die Referenten-Teams für diese Lehrerfortbildungen kommen dabei aus Wissenschaft und Schule, so ist sichergestellt, dass Theorie (Hochschule) und Praxis (Schule) eng miteinander verknüpft sind.