Unabhängig voneinander wurden kürzlich auf zwei Computern zwei Rekord-Primzahlen berechnet. Dies haben mehrere Gegenproben inzwischen bestätigt, ein letztes Testergebnis wird für den 14. September erwartet. Die neu entdeckten Primzahlen haben mehr als 10 Millionen Dezimalstellen. Damit ist der Weltrekord aus dem Jahr 2006 - eine Primzahl mit 9,8 Millionen Stellen - gebrochen. Einer der Rechner befindet sich in Deutschland. Die Frage, ob und welche Forscher genau das Preisgeld von 100.000 Dollar für eine Primzahl mit mehr als 10 Million Stellen für sich verbuchen können, ist noch offen.

Primzahlen kennt man schon aus der Schule: Das sind natürliche Zahlen > 1, die ohne Rest nur durch sich selbst teilbar sind. Die Reihe der Primzahlen beginnt mit 2,3,5,7,11,13,... und endet nie, wie schon Euklid bewiesen hat. Diese Zahlen sind deshalb so interessant, weil sie in gewissem Sinne die Atome der Zahlen darstellen: Man kann jede natürliche Zahl als im Wesentlichen eindeutiges Produkt von Primzahlen darstellen. Außerdem sind sie in fast allen Bereichen der Mathematik von Nutzen -- von der Konstruktion von Zahlenmengen wie den p-adischen Zahlen bis hin zu ganz praktischen Anwendungen wie der Verschlüsselung von Daten.

Just bei der Verschlüsselung wird ausgenutzt, dass man großen Zahlen ihre Teiler nicht so einfach ansieht. Tatsächlich entwickeln Mathematiker seit Jahrzehnten Methoden, um Zahlen schnell daraufhin zu prüfen, ob sie weitere Teiler als sich selbst und 1 haben, und welche dies sind; gibt es keine weiteren Teiler, so handelt es sich um eine Primzahl. Seit einigen Jahren ist klar, dass man für eine gegebene Zahl vergleichsweise schnell entscheiden kann, ob es sich um eine Primzahl handelt. Primzahlen zu finden jedoch gilt immer noch als schwer.

Gewisse Primzahlen jedoch lassen sich mit vergleichsweise geringem Aufwand bestimmen, etwa die Mersennschen Primzahlen, also Primzahlen der Form 2n - 1. Dennoch wartete die Fachwelt seit dem 4. September 2006 auf die nächst höhere „Mersenne-Primzahl". Damals hatte ein Team um Dr. Curtis Cooper and Dr. Steven Boone von der University of Central Missouri herausgefunden, dass die Zahl 232 582 657-1 eine Primzahl ist. Es handelt sich um eine Zahl mit 9808358 Ziffern, die ausgedruckt über 2000 Din A4-Seiten füllt.

Am 23. August 2008 und am 6. September wurden nun zwei weitere große Mersenne-Primzahlen gefunden, wie das GIMPS-Projekt verlauten ließ, bei dem PC-Nutzer kollaborativ seit Jahren per das Internet gemeinsam große Mersenne-Primzahlen zu finden versuchen. Es handelt sich um die Zahlen 243 112 609-1 und 237 156 667-1.

Die erste Zahl wurde inzwischen auf zwei unterschiedlichen Rechnern überprüft. Gestern wurde die zweite Gegenprobe abgeschlossen und bestätigt ebenfalls das Auffinden einer neuen Primzahl, so das GIMPS-Projekt. Ein weiteres Testergebnis wird in den kommenden Tagen erwartet. Die Primzahlen wurden unabhängig voneinander von Tom Duell in Burlington (USA) und Rob Giltrap in Wellington (Neuseeland) verifiziert. Beide sind bei Sun Microsystems tätig. „Die vergangenen Tage haben gezeigt, wie spannend Mathematik sein kann. Heute ist ein Festtag für die Mathematik-Community weltweit. Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung gratuliert ihren Kollegen von ganzem Herzen zu diesem Erfolg", sagt Günter M. Ziegler, Präsident der DMV.

Die kommenden Tage werden zeigen, ob und welche Forscher genau den Electronic Frontier Foundation Award erhalten. Der Preis beschert demjenigen, der eine Primzahl mit mehr als 10 Millionen Stellen findet, ein Preisgeld von 100.000 US Dollar. Die Electronic Frontier Foundation möchte die Verbreitung und das Wachstum des Internets befördern und mit dem Preisgeld möglichst viele Menschen weltweit dazu bewegen, ihre Rechner für die Primzahlsuche einzusetzen. Tatsächlich läuft die Suche nach Mersenne-Zahlen weltweit auf zahlreichen Einzelrechnern. Praktisch jeder, der möchte, kann sich über GIMPS (Great Internet Mersenne Prime Search) an der Rekordjagd beteiligen.

„Die Jagd nach immer größeren Primzahlen ist aber nicht nur eine neue Sportart fürs Internet, sondern auch eine mathematische Herausforderung ersten Ranges", sagt Günter M. Ziegler. Dahinter ihr verbirgt sich auch die Frage, mit welcher Methode man sehr große Zahlen möglichst effizient in ihre Faktoren zerlegen kann. Tatsächlich beruhen mehrere Verfahren zur sicheren Datenübertragung im Internet darauf, dass sehr große Zahlen gerade nicht schnell faktorisiert werden können. „Aber die Datensicherheit im Internet ist durch den jetzigen Rekord nicht gefährdet", resümiert Ziegler.


Nachtrag: Seitdem hat das GIMPS-Projekt zwei weitere Mersenne-Primzahlen entdeckt: 
242 643 801-1 (gefunden am 12. April 2009) und 257 885 161-1 (gefunden am 25. Januar 2013).