Stellungnahme der Deutschen Mathematiker-Vereinigung

23. Januar 1999. Das ECTS (European Credit Transfer System) ist ein Projekt der Europäischen Kommission, das dazu dienen soll, die Anerkennung im Ausland erbrachter akademischer Leistungen zu erleichtern. Die ETCS-Credits stellen den Arbeitsaufwand eines Studierenden dar, der mit der jeweiligen Lehrveranstaltung verbunden ist. Dieses System ist in Europa inzwischen recht verbreitet und bekommt auch in Deutschland zunehmend Bedeutung. Die Idee ist, daß die während eines Semesters oder Studienjahres erbrachten Leistungen mit Kredit-Punkten bewertet werden. Diese ermöglichen dann eine Vergleichbarkeit und Transferierbarkeit von Leistungen an andere Hochschulen im In- und Ausland. Allerdings sagen die Punkte nichts über eventuelle Noten aus. Interessant ist dieses System hauptsächlich für Studierende, die einen Teil ihres Studiums im Ausland gestalten wollen bzw. ausländische Studierende, die an einer Anrechnung der erbrachten Leistungen interessiert sind. Bei einem Wechsel zwischen Universitäten innerhalb Deutschlands scheint die Bedeutung derzeit sekundär zu sein.

Nachfolgend ein Vorschlag für den Diplomstudiengang Mathematik.
Um Vergleichbarkeit mit den weitgehend akzeptierten Regelungen der ECTS zu gewährleisten, sollte man sich in etwa an den dortigen Vorgaben orientieren. Diese besagen, daß für ein Studienjahr 60 Kredit-Punkte vergeben werden, also für das üblicherweise 4-semestrige Grundstudium 120 Punkte. Da selbst das Grundstudium an deutschen Universitäten nicht mehr einheitlich ist (3-semestrige Analysis/4-semestrige Analysis, 2-semestrige Lineare Algebra/3-semestrige Lineare Algebra, Numerik und/oder Wahrscheinlichkeitstheorie, Informatik oder keine Informatik usw., studienbegleitende Prüfungen/Abschlußprüfung), kann hier nur eine allgemeine Empfehlung gegeben werden.

Es scheint nicht sinnvoll, Kredit-Punkte nur für das Belegen von Vorlesungen zu vergeben, sondern in der Kombination von Vorlesung und Übung. Vorgeschlagen wird, daß man eine 4-stündige Vorlesung mit 2-stündigen Übungen mit ca. 10 Punkten versieht. Falls in der Prüfungsordnung vorgesehen, könnte ein Proseminar oder Praktikum mit 4 Punkten bedacht werden. Damit kommt man mit den üblicherweise für das Vordiplom notwendigen Vorlesungen mit Übungen auf ca. 80 Punkte. Wenn man noch einmal ca. 20 Punkte für das Nebenfach veranschlagt, erhält man somit 100 Punkte. Bei der Bewertung des gesamten Grundstudiums ist zu berücksichtigen, daß die Vordiplom-Prüfungen an verschiedenen Universitäten sowohl im Zeitpunkt als auch im zeitlichen Umfang unterschiedlich sind. Es wird vorgeschlagen, den Abschluß des Grundstudiums pauschal mit 20 Kreditpunkten zu honorieren.

Im Hauptstudium ist die Struktur noch weniger einheitlich als beim Grundstudium. Auch hier dürfte es sinnlos sein, Kredit-Punkte für den bloßen Besuch einer Vorlesung (oder gar deren bloßes Belegen) zu vergeben. Allerdings spielt gerade die Eigenverantwortung und Selbständigkeit im Hauptstudium eine wichtige Rolle, so daß es neben den Vorlesungen des Hauptstudiums mit Leistungsnachweisen (z.B. Mindest-Standard bei begleitenden Übungen, Klausuren zum Vorlesungsstoff, Prüfungsgespräche o.ä.) auch weiterhin Vorlesungen geben wird, die ohne Leistungsnachweise durchgeführt werden. So sollten Vorlesungen (4 SWS) und Übungen (2 SWS) wie im Grundstudium mit 10 Punkten bewertet werden. Vorlesungen ohne Übung sollten mit 6-8 (4 SWS) bzw. 3-4 (2 SWS) Punkten bewertet werden, Seminare mit 6-8 Punkten. Dabei sollte aber wieder die Maxime gelten, daß bei Vorlesungen mit Übungen keine Punkte für den bloßen Besuch vergeben werden.

Für die Diplomprüfung selbst, die sich üblicherweise in drei Prüfungen (Reine Mathematik, Angewandte Mathematik, Nebenfach) gliedert, könnten 25 Punkte vergeben werden. Die Gesamtzahl der Punkte für das Hauptstudium (einschließlich Prüfung) sollte 120 Punkte betragen, so daß bei einer veranschlagten Studienzeit von 4 Semestern wieder eine durchschnittliche Punktzahl von 60 pro Studienjahr erreicht wird. Vom Standpunkt der Vergleichbarkeit und Transferierbarkeit von Leistungen an Hochschulen im In- und Ausland ist damit das Ziel erreicht.

Darüber hinaus sollte aber auch die besondere Bedeutung der Diplomarbeit für den Abschluß des Studiums dokumentiert werden. Dieser Teil des Studiums zerfällt in drei Teile.

Die Einarbeitungsphase: Für die anspruchsvolle Aufgabe, sich in das Gebiet einzuarbeiten, wozu Spezialvorlesungen, die üblicherweise nicht mit Übungen versehen sind, besucht werden müssen, sollten Punkte vergeben werden. Weiter ist es oft notwendig, in einem Examensseminar vorzutragen. In Vergleichbarkeit mit den obigen Festlegungen scheint eine Bewertung mit 20 Punkten sinnvoll.
Die Diplomarbeit selbst. Hierfür ist eine Punktzahl von 30 angemessen bzw. als untere Grenze zu betrachten, insbesondere, wenn man beachtet, daß von den Kultusministern der Länder eine Frist von 6 Monaten hierfür eingeräumt wird.
Prüfung im Schwerpunktgebiet. Falls nicht schon bei den oben erwähnten Prüfungen eingeschlossen, sondern als gesonderter Teil der Diplomprüfung durchgeführt, sollte diese Prüfung mit 10 Punkten bewertet werden.
Somit erhält man für ein Mathematikstudium eine Bewertung von 290 bis 300 Punkten. Dies ist im Einklang mit den im ECTS-Benutzerhandbuch angegebenen Beispielen.

Zum Abschluß soll noch einmal klar festgestellt werden, was das Kredit-Punkt-System nicht leisten kann und soll. Man kann nicht durch Ansammeln von Kredit-Punkten an verschiedenen Universitäten eine Zahl (z.B. 120) erreichen, die dann einen Abschluß (hier Vordiplom) zur Folge hat. Bei Hochschulwechseln wird auch weiterhin die Anrechenbarkeit von Einzelleistungen notwendig sein. Das Kredit-Punkt-System kann nur einen vagen Anhaltspunkt darüber liefern, welcher Aufwand für die einzelnen Veranstaltungen im Verhältnis zum Gesamtstudium erforderlich ist.

Verabschiedet vom DMV-Präsidium am 23.1.1999