Stellungnahme von DMV, GAMM, GDM, KMathF und MNU

Januar 2012. Mathematik dient wie Sprache dem Verstehen und dem Strukturieren der Welt und ist wegen ihrer kulturellen und praktischen Bedeutung unverzichtbares Kernfach in allen Schulstufen. Dem Mathematikunterricht in der Grundschule kommt eine besondere Bedeutung zu: Er soll die frühen mathematisch bedeutsamen Alltagserfahrungen der Kinder aufgreifen, aus ihnen grundlegende mathematische Kompetenzen entwickeln und auf diese Weise die Grundlage für das Mathematiklernen in den weiterführenden Schulen und für den lebenslangen Umgang mit mathematischen Anforderungen des Alltags schaffen. Die Lehrerausbildung an den Hochschulen muss zum Ziel haben, den zukünftigen Lehrkräften die für diese verantwortungsvolle Aufgabe erforderlichen fachlichen wie fachdidaktischen Kompetenzen zu vermitteln. Die derzeitige Lehrerausbildung in Deutschland für das Lehramt in der Grundschule zeigt jedoch ein sehr heterogenes Bild, das nur in Teilen diesem Anspruch genügt.

In der Grundschule gilt in Deutschland wie fast überall in der Welt das Klassenlehrerprinzip. Angesichts der Tatsache, dass Lehrkräfte in der Praxis durchweg täglich Mathematik unterrichten, muss das Kernfach Mathematik (ebenso wie Deutsch) mit fachlichen und fachdidaktischen Anteilen verpflichtender Bestandteil des Studiums für das Grundschullehramt sein. Mathematisches Abiturwissen sichert nicht die besondere fachliche Kompetenz, die im Grundschullehramt erforderlich ist; grundlegende fachwissenschaftliche Prinzipien und Strukturen der Elementarmathematik von einem übergeordneten Standpunkt aus zu durchdringen, ist Voraussetzung für die Gestaltung von erfolgreichem Mathematikunterricht. Selbst erlebter Mathematikunterricht befähigt nicht zum kompetenten Unterrichten von Mathematik in der Grundschule; die Mathematikdidaktik als Wissenschaft vom fachspezifischen Lernen liefert theoretische und empirische Erkenntnisse und Handreichungen zu mathematischen Lehr- und Lernprozessen und ihren Bedingungen.

Zurzeit findet man in Deutschland aufgrund des Föderalismus eine chaotische Vielfalt an Ausbildungsstrukturen für das Unterrichtsfach Mathematik in der Grundschule. In einigen Ausbildungsgängen ist Mathematik verpflichtender Bestandteil, in anderen dagegen ist Mathematik nur fakultativer Bestandteil, so dass man die Berechtigung, in der Grundschule Mathematik zu unterrichten, ohne entsprechende mathematische und mathematikdidaktische Ausbildung erhalten kann. Der Anteil der Mathematik variiert deutschlandweit zwischen 3 Prozent und knapp 33 Prozent des Gesamtstudiums, mal mit ausschließlich fachdidaktischen, mal mit fachlichen und fachdidaktischen Inhalten. Mathematik tritt als eigenständiger Bestandteil eines Studiums, manchmal aber auch als Teil der Erziehungswissenschaft auf. Darüber hinaus existiert neben dem eigenständigen Studiengang für das Lehramt an Grundschulen auch ein kombinierter Studiengang für Grundschule und Sekundarstufe I. Es gibt als Abschluss das Erste Staatsexamen oder den Bachelor bzw. den Master. Dieser in den letzten zwanzig Jahren noch gewachsene Ausbildungsdschungel widerspricht der These, dass der Bildungsföderalismus dem besseren Modell zum Durchbruch verhilft.

Hinweise auf gute und schlechte Modelle hat in jüngster Zeit die internationale VergleichsstudieTEDS-M (Teacher Education and Development Study: Learning to Teach Mathematics) gegeben. Danach bringt ein Lehramtsstudium mit verpflichtenden grundschulbezogenen Mathematikanteilen Grundschullehrkräfte hervor, die im internationalen Vergleich sehr gut dastehen. Das Gegenteil gilt für Absolventinnen und Absolventen einer Ausbildung ohne mathematische und mathematikdidaktische Studieninhalte. Nach Aussage der Studie sind diese mehrheitlich nicht in der Lage, Lehrstrategien für spezifische Lernprozesse abzuwägen und Lösungsansätze und Fehlvorstellungen von Kindern zu interpretieren. Ihre fachliche und fachdidaktische Kompetenz reicht im Allgemeinen nicht aus, einen anregenden und erfolgreichen Mathematikunterricht zu erteilen.

Die für Mathematik zuständigen Fachgesellschaften DMV, GAMM, GDM und MNU begrüßen, dass die Ausbildung für das Grundschullehramt in vielen Bundesländern in den letzten zehn Jahren eine Aufwertung im Spektrum aller Lehramtsstudiengänge erfahren hat. Die dabei oftmals erfolgte quantitative Ausweitung des Studiums bedarf jedoch einer besseren qualitativen Unterfütterung mit Blick auf die Anforderungen an die Lehrkräfte in der Grundschule. Daher fordern wir alle Bundesländer auf, das Kernfach Mathematik mit einem Studienanteil von mindestens 20 Prozent im Bereich mathematischer und vor allem mathematikdidaktischer Grundlagen verpflichtend vorzusehen. Eine ausgewogene Verschränkung von mathematischen und mathematikdidaktischen Inhalten im Studium erlaubt es den zukünftigen Grundschullehrerinnen und -lehrern, den Kindern einen Lernraum zu eröffnen, in dem die Mathematik mit den Lernfähigkeiten und -potenzialen der Schülerinnen und Schülern erfolgreich verknüpft und damit allen Kindern gleichermaßen ein Zugang zur Mathematik ermöglicht werden kann. Insbesondere die Entwicklung einer fundierten Diagnosefähigkeit legt die Grundlage dafür, Stärken und Begabungen sowie Schwierigkeiten und Schwächen bei Schülerinnen und Schülern früh zu erkennen und ihnen durch eine differenzierte Gestaltung von mathematischen Lehr-Lern-Umgebungen zu begegnen.

Die komplette Stellungnahme im PDF-Format findne Sie hier.