DMV/GDM Denkschrift Februar 2001: Vorschläge zur Ausbildung von Mathematiklehrerinnen und - lehrern für das Lehramt an Gymnasien in Deutschland

Mathematik wandelt sich immer mehr zu einer Schlüssel- und Querschnittswissenschaft. Sie dringt vermehrt in Bereiche anderer Wissenschaften, der Industrie, der Wirtschaft und des täglichen Lebens ein, auch wenn der Beitrag der Mathematik oft nicht unmittelbar sichtbar ist. Dies gilt insbesondere bei zahlreichen informatischen Anwendungen, hinter denen nicht selten ein mathematisch basierter Kern steht. Trotz dieser Bedeutung und trotz damit einhergehender hervorragender Berufschancen für Mathematiker wählen Abiturienten gegenwärtig immer seltener ein mathematisches Studium. Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung (DMV) und die Gesellschaft für Didaktik der Mathematik (GDM), die Fachverbände der Mathematiker und Mathematikdidaktiker, sind der Auffassung, dass auf diese Situation reagiert werden muss. Der zentrale Ansatzpunkt ist die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern insbesondere für das Lehramt an Gymnasien. Diese Berufsgruppe trägt die Verantwortung für eine umfassende mathematische Grundbildung der Schüler und Schülerinnen, die zunehmend wichtiger wird, um unsere Alltagswelt zu verstehen. Auch werden im Mathematikunterricht die Voraussetzungen geschaffen, beispielsweise ein ingenieur- oder naturwissenschaftliches Studium erfolgreich durchlaufen zu können. Nur wer in seiner Ausbildung anspruchsvolle Mathematik erlebt hat, wird Freude daran und ein weitergehendes Interesse entwickeln, sich mit mathematischen Fragen zu beschäftigen. Das gilt in gleicher Weise für Schüler und Schülerinnen wie auch für Lehramtsstudenten. Lehrerinnen und Lehrer spielen eine entscheidende Rolle dabei, welches Bild von Mathematik sich Schüler machen. Mathematik darf nicht auf eine Ansammlung von Lösungsverfahren für bestimmte Aufgabentypen reduziert werden, sie darf nicht als fertiges Gebäude von Lehrsätzen ohne Baupläne erscheinen. Daher ist es für die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer von prägender Bedeutung, bereits im Studium zu erfahren, dass es in der Mathematik unzählige offene Fragen gibt, durch deren Bearbeitung sich die Mathematik auch aktuell ausformt und dynamisch weiterentwickelt. Lehramtsstudenten müssen über die Aneignung von Faktenwissen hinaus befähigt werden, auch ein exploratives und heuristisches Vorgehen als grundlegende Arbeitsformen der Mathematik zu begreifen. Hierbei spielen nicht zuletzt der Einsatz des Computers und damit allgemein Probleme an der Schnittstelle der Mathematik zur Informatik eine entscheidende Rolle. Ihre Aufbereitung ist eine Aufgabe, die originär dem Mathematikunterricht zugewiesen werden muss.

Den Schulen steht in den nächsten zehn Jahren ein Generationswechsel erheblichen Ausmaßes bevor. Ein sehr großer Anteil der derzeitigen Lehrerinnen und Lehrer wird aus dem aktiven Dienst ausscheiden und durch jüngere Kollegen ersetzt werden. Mit Sorge beobachten die DMV und die GDM in einzelnen Bundesländern Tendenzen, dass bereits jetzt der Nachwuchs an Mathematiklehrern und -lehrerinnen die Nachfrage nicht befriedigend kann. Umsomehr scheint der aktuelle Zeitpunkt geeignet, dringend notwendige änderungen bei der Lehramtsausbildung in Angriff zu nehmen. Die Studentinnen und Studenten, die derzeit und in den nächsten Jahren studieren, werden nachhaltig das Bild der Mathematik in den nächsten Jahrzehnten in den Schulen bestimmen.

Eine theoretisch fundierte und praxisorientierte Ausbildung von Mathematiklehrern ist eine der wichtigsten Aufgaben der Universitäten. Ausgehend vom Abschlussbericht der Kommission Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland der KMK aus dem Jahr 2000 soll mit den im folgenden formulierten Vorschlägen die Denkschrift der DMV von 1979 weiterentwickelt werden. Wir wollen hiermit Anregungen für uns notwendig erscheinende änderungen in der fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Lehrerbildung geben, die Lehrerinnen und Lehrer in die Lage versetzen, einen zeitgemäßen Mathematikunterricht abzuhalten.

Unsere wesentlichen Thesen zur Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Die Lehramtsausbildung basiert sowohl auf fachlicher als auch auf fachdidaktischer Forschung und kann somit nur an Universitäten geleistet werden.
Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Lehrangebote müssen verstärkt aufeinander abgestimmt werden und können zumindest teilweise parallelisiert werden.
Eine Trennung der fachlichen Ausbildung im Grundstudium von den traditionellen Mathematikstudiengängen erscheint uns aus inhaltlichen Gründen nicht ratsam und aus kapazitären Gründen nicht realisierbar.
Dem Bedürfnis der Lehramtsstudierenden, kompaktes Bereichswissen zu erwerben, muss im Hauptstudium durch in sich abgeschlossene, einsemestrige Überblicksveranstaltungen stärker Rechnung getragen werden.
Der Vermittlung von mathematischen Anwendungsfeldern auch im Lehramtsstudiengang kommt eine wesentliche Bedeutung im Studium zu.
Das Einbeziehen der neuen Medien in die Lehramtsausbildung ist eine wichtige Aufgabe, die in den mathematischen Fachbereichen geleistet werden muss.
Verbindliche, fachlich betreute schulpraktische Studien sind ein unverzichtbarer Baustein der Lehramtsausbildung.
Die wissenschaftliche Hausarbeit ist ein integraler Bestandteil der Ausbildung und muss sich einem fachwissenschaftlichen oder einem fachbetont didaktischen Thema widmen.
Um einer Abkopplung des schulischen Mathematikunterrichts von der Weiterentwicklung des Fachgebietes entgegenzuwirken, fordern DMV und GDM die kontinuierliche, verantwortvolle Mitwirkung der Fächer bei der Curriculumentwicklung im schulischen Bereich in allen Bundesländern.
Alle nachfolgend gemachten Vorschläge beziehen sich auf das gymnasiale Lehramt, insbesondere für die Sekundarstufe II. Grundlegende Tendenzen sind unserer Auffassung nach allerdings auch auf die Lehramtsausbildung für andere Schulformen der Sekundarstufe übertragbar. Mathematik ist ein wesentliches Unterrichtsfach in allen Schulformen und Schulstufen, so dass die Ausbildung von Mathematiklehrerinnen und -lehrern in jedem Fall besondere Aufmerksamkeit verlangt.

Die fachliche Komponente der Lehrerbildung

Das Fach Mathematik befindet sich in permanenter dynamischer Entwicklung, die Hand in Hand geht mit einer immer weiteren Ausdehnung seiner Anwendungsfelder. Auf diesem Hintergrund ist es Ziel des Studiums, die künftigen Lehrer zu einem modernen, sowohl fach- als auch schüleradäquaten Mathematikunterricht zu befähigen. Darüber hinaus soll eine umfassende mathematische Bildung vermittelt werden. Beides erfordert eine Ausbildung an einer Universität, da nur hier Inhalte, Methoden und Denkweisen auf wissenschaftlichem Niveau vermittelt werden können. Dieses gilt sowohl für die fachwissenschaftlichen als auch für die fachdidaktischen Komponenten der Ausbildung.

Bei der fachwissenschaftlichen Ausbildung kommt es für künftige Lehrerinnen und Lehrer zunächst einmal darauf an, dass sie über ausgedehnte Fachkenntnisse verfügen, die das Niveau und den Umfang der Lehrplaninhalte deutlich übersteigen müssen. Nur dann sind sie in der Lage, auf Schülerfragen und -ideen zu reagieren und aus der Situation sich ergebende, weiterführende Fragen adäquat zu beantworten. Alle Erfahrung zeigt, dass die Akzeptanz von Lehrerinnen und Lehrern insbesondere in den höheren Jahrgangsstufen ganz wesentlich von de- ren Sachkenntnis im Fach bestimmt wird. Defizite in der fachlichen Kompetenz beeinträchtigen das Lernen und machen eine wirkungsvolle Initiierung von Lernprozessen durch den Lehrer unmöglich.

Darüber hinaus ist es für die berufliche Tätigkeit angehender Lehrer von ausschlaggebender Bedeutung, wie die Mathematik im Studium erfahren wird. Mathematik darf nicht als statisch empfunden werden, sondern sie muss immer wieder als Arbeit an der Lösung von (inner- wie außermathematischen) Problemen erfahren werden. Nur das durch eigene Aktivitäten (u.a. in Übungen, Seminaren und informellen Arbeitsgruppen) erarbeitete Wissen ist wirkliches mathematisches Wissen.

Zwar haben internationale Vergleichsuntersuchungen im Großen und Ganzen gezeigt, dass die fachliche Qualität einer der Aktivposten der Lehramtsausbildung in Deutschland ist. Jedoch zeigt im Fach Mathematik der Vergleich mit dem Zustand vor etwa 20 bis 30 Jahren einige Gefahren, die die Fachbereiche nicht zu vertreten haben. Die Entwicklung der Studien- und Prüfungsordnungen in diesem Zeitraum ist gekennzeichnet durch einen schleichenden, inzwischen deutlich merkbaren Rückgang der Wochenstundenzahlen für das einzelne Fach, dieses besonders im Hauptstudium. Bei der fortschreitenden Ausweitung der Anwendungsfelder der Mathematik, die im Gegensatz dazu nach zusätzlichen Inhalten wie Stochastik, Diskrete Mathematik, Modellierung, Grundlagen der Informatik und ähnlichem verlangen, führt dieses schließlich zu einer Situation, die nicht mehr durch Straffungen des Curriculums aufzufangen ist.

Unseres Erachtens muss nicht zuletzt wegen der angesprochenen innermathematischen Differenzierung und Ausdehnung der Teilgebiete darüber nachgedacht werden, die möglichen Kombinationen von Schulfächern für Lehramtsantwärter wieder einzuschränken: das zweite Fach sollte in aller Regel einen deutlichen Bezug zur Mathematik haben. Zumindest kann man daran denken, andere Kombinationen an stärkere Auflagen zu binden. Auch regen wir die Möglichkeit an, dass das zweite Fach neben der Mathematik wieder wie früher ein sogenanntes Nebenfach sein könnte.

Es ist den Verfassern dieser Denkschrift bewusst, dass diese Vorschläge nicht unproblematisch sind, und dass es gute Gründe gegeben hat, warum die Entwicklung in den letzten zwanzig Jahren anders verlaufen ist. Auf Grund der Schwierigkeiten, den fachlichen Standard der früheren Lehramtsausbildung zu halten, dürfen jedoch diese Fragen als Diskussionsthemen heute kein Tabu mehr sein.

Eine zusammenfassende Konsequenz unserer Ausführungen ist, dass der Fachausbildung der Lehramtsstudierenden an den Universitäten der gleiche Rang wie der Diplomausbildung zuerkannt werden muss. Das bedeutet auf der einen Seite, dass die Fachbereiche diese Ausbildung entsprechend ernst nehmen, auf der anderen Seite aber auch, dass dies auf der Seite der Ressourcen honoriert wird, letzteres z.B. ganz konkret bei Anrechnungsfaktoren und curricularen Normen, die etwa Einfluss auf die Zuweisung von Mitteln für Tutorien haben.

Fachdidaktische Studien

Die fachdidaktische Ausbildung an der Hochschule zielt in besonderem Maße darauf ab, auf die spätere Berufstätigkeit vorzubereiten. Schon während des Studiums geht es somit darum, ein Verständnis dafür zu entwicklen, welche Probleme damit verbunden sind, wenn man Mathematik in der Schule lehrt und lernt. In den fachdidaktischen Lehrveranstaltungen müssen Studentinnen und Studenten mit der Analyse und Reflexion von Zielen des Mathematikunterrichts, mit seiner theoretisch fundierten Planung, Gestaltung und Auswertung und mit spezifischen Konzepten des Mathematiklernens vertraut gemacht werden.

Zur Erfüllung dieser Ziele gehört, dass die Studierenden mit methodischen Aspekten des Mathematikunterrichts vertraut gemacht werden. Sie müssen in die Lage versetzt werden, Gesichtspunkte für die Auswahl mathematischer Unterrichtsinhalte zu entwickeln und ein Urteilsvermögen über ihre Stellung innerhalb der Mathematik erwerben. Deshalb sind die Fachbereiche aufgefordert, insbesondere in den Kernbereichen Analysis, Lineare Algebra und Geometrie sowie Stochastik genuine fachdidaktische Veranstaltungen zu konzipieren und regelmäßig anzubieten, die sowohl mit der Fachwissenschaft als auch mit den Schulcurricula verzahnt sind.

Die fachdidaktische Ausbildung muss sich darüber hinaus mit den spezifischen Aspekten mathematikbezogener Lernprozesse beschäftigen. Zukünftige Lehrerinnen und Lehrer brauchen ein solides und tragfähiges Wissen darüber, welche Probleme mit dem Lernen mathematischer Begriffe, Definitionen, Sätze und Beweise verbunden sein können oder welche typischen Fehlerkonzepte Kinder und Jugendliche beim Umgang mit der Mathematik entwickeln. Die Beobachtung und Beschreibung mathematischer Lernprozesse, die Diagnose von Fehlern beim Umgang mit Mathematik sowie die Entwicklung geeigneter Hilfen sind wesentliche Bestandteile einer gründlichen fachdidaktischen Ausbildung.

Eine enge Verzahnung von fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Ausbildung erscheint uns essenziell. Gegenwärtig ist der Abstand zwischen der konkreten fachinhaltlichen Ausbildung und der fachdidaktischen Umsetzung oft zu groß. Es sollte angestrebt werden, dass Fachwissenschaft und Fachdidaktik möglichst stark miteinander verzahnt werden und in Teilen sogar parallel laufen. Die in diesem Sinne konzipierten Veranstaltungen müssen - wie alle akademischen Veranstaltungen - forschungsorientiert sein. Es darf keinesfalls nur um die Vermittlung von bloßem Erfahrungswissen oder von Rezepten für "erfolgreiches" Lehren gehen. Vielmehr ist nur durch eine forschungsorientierte Lehre gewährleistet, dass Studentinnen und Studenten ein theoretisch fundiertes Wissen erwerben, auf dem sie in lebenslanger Fort- und Weiterbildung aufbauen können.

Außer Fachdidaktikern und Fachwissenschaftlern sollten sich je nach konkreter Schwerpunktsetzung auch Lehrbeauftragte aus der Schule beteiligen und ergänzend schulische Erfahrungen einbringen. Ein ausschließliches Abdecken der fachdidaktischen Studien durch Lehraufträge halten wir jedoch - auch aus den gesammelten Erfahrungen heraus - nicht für sinnvoll. Von dem Grundprinzip einer forschungsmäßigen Verankerung der Didaktik, realisiert durch wenigstens eine Professur in diesem Bereich für jeden lehrerausbildenden Fachbereich, sollte nicht abgegangen werden. DMV und GDM fordern die mathematischen Fachbereiche insbesondere auf, keine Umwidmungen von Planstellen, die bisher der Lehrerbildung, speziell der Fachdidaktik zugeordnet waren, zuzulassen oder gar selbst durchzuführen. Die Besetzung eventuell wünschenswerter neuer Professuren in aktuellen Gebieten wie Technomathematik, Finanzmathematik oder im Grenzbereich zur Informatik sollte in anderer Weise geregelt werden und darf gerade in der jetzigen Situation nicht zu Lasten der Lehrerbildung gehen.

In letzter Zeit hat sich in verschiedenen Universitäten gezeigt, dass die Ausbildung von Nachwuchs für fachdidaktische Professuren nicht in ausreichendem Maße gelungen ist, insbesondere nicht im gymnasialen Bereich. Dies erschwert eine Umsetzung der Empfehlungen in nicht unerheblichem Maße. Wir fordern daher die Fachbereiche auf, verstärkt Anstrengungen zu unternehmen, damit geeignete junge Kolleginnen und Kollegen für die fachdidaktische Komponente der Lehramtsausbildung qualifiziert werden können.

Aufbau und Organisation des Lehramtsstudiums

Zum grundsätzlichen inhaltlichen Aufbau des Lehramtsstudiums hat sich über die Zeit hinweg zwischen den Fachleuten der Mathematik und der Fachdidaktik ein Konsens herausgestellt, der etwa wie folgt beschrieben werden kann.

Das Studium ist deutlich getrennt in ein Grund- und ein Hauptstudium. Das Grundstudium wird im Großen und Ganzen mit den Studierenden für das Diplom bzw. den Master gemeinsam absolviert, es legt die standardisierten fachlichen Grundlagen in den Gebieten Analysis, (Lineare) Algebra, (analytische) Geometrie, sowie in der Regel in einem Gebiet der angewandten Mathematik. Es schließt mit einer Zwischenprüfung ab, die sicher stellt, dass für die weiterführenden so- wohl fachlichen wie auch didaktischen Veranstaltungen des Hauptstudiums die notwendige Grundlage tatsächlich vorhanden ist.

Im Unterschied zum Grundstudium kann das Hauptstudium für Lehramtskandidaten nur noch bedingt mit den Studiengängen Diplom oder Master zusammen durchgeführt werden, weil der Stundenumfang geringer ist und vor allem auch andere Ziele verfolgt werden. Deswegen sind eigene Vorlesungen notwendig, erste Teile von mehrsemestrigen Vorlesungen sind prinzipiell ungeeignet. Diese einsemestrigen Vorlesungen müssen überblicksartig konzipiert sein, inhaltlich abgerundet sein und möglichst viele Querverbindungen zu anderen Gebieten aufzeigen. Für die Lehramtsstudiengänge sind hier wesentliche eigenständige Anstrengungen erforderlich; diese gehören zu den genuinen Aufgaben der Universität und dürfen nicht Kapazitätsüberlegungen zum Opfer fallen. Die DMV und GDM fordern alle mathematischen Fachbereiche auf, Ansätze einzelner Kolleginnen und Kollegen zur Konzipierung solcher Vorlesungen zu honorieren und ein entsprechendes Klima zu pflegen.

In wenigstens einem Bereich der Mathematik ist eine exemplarische Vertiefung anzustreben. Der Stundenumfang muss ggf. wieder soweit erhöht werden, dass dieses möglich ist. Die Studien im vertieften Bereich können sich tendenziell dem Diplom- oder Masterstudiengang annähern und zum Teil in denselben Veranstaltungen erfolgen.

Eine zweite Säule des Hauptstudiums ist die fachdidaktische Ausbildung. Da die hierzu notwendige fachliche Grundlegung praktisch das gesamte Grundstudium umfasst (wenigstens drei Semester), ist die Fachdidaktik weitgehend im Hauptstudium angesiedelt und nimmt dort entsprechend einen relativ breiten Raum ein. Die Bedeutung fachdidaktischer Studien für die Lehramtsausbildung sowie die damit verbundenen Ziele und Inhalte wurden oben bereits dargestellt.

Neben der fachmathematischen und der fachdidaktischen Ausbildung sind auch schulpraktische Studien ein unverzichtbarer Bestandteil der Lehramtsausbildung an der Universität. Bei wenigstens einem Praktikum (vorzugsweise einem Blockpraktikum von etwa sechs Wochen Dauer während des Hauptstudiums) sollte die fachliche und fachdidaktische Planung und die eigene Durchführung von Unterrichtsstunden im Zentrum stehen. Ein solches Praktikum muss im jeweiligen Fachbereich verankert werden, z.B. durch ein verbindliches Vorbereitsungsseminar und individuelle Betreuung der Praktikanten durch einen Hochschullehrer mit wenigstens einem Unterrichtsbesuch.

Es erscheint wünschenswert, dass sich Studierende des Lehramts auch mit Anwendungen der Mathematik vertraut machen; neben einschlägigen Seminaren etwa zur Modellierung in den Ingenieur- oder Sozialwissenschaften erscheint hier ein Industriepraktikum als eine sinnvolle Ergänzung des Studiums.

Die neuen Medien werden den Mathematikunterricht in der Zukunft verändern. Z.B. wird dem Einsatz von Computeralgebra-Systemen, dynamischer Geometrie-Software oder Simulationsprogrammen in der Zukunft eine immer größere Bedeutung zukommen. Daher ist es geboten, Lehrer und Lehrerinnen mit solcher Software und insbesondere mit der dahinter stehenden Mathematik vertraut zu machen und beides als integralen Inhalt der Ausbildung zu verankern. Eine Abstimmung der fachwissenschaftlichen und der fachdidaktischen Ausbildung ist hier besonders wichtig.

Um die interne Umsetzung und Weiterentwicklung dieser vielfältigen Aufgaben in der Lehre organisatorisch zu verankern, sollte jeder lehrerausbildende Fachbereich einen Beauftragten für diese Studiengänge im Range eines Professors benennen, der die Planung des Lehrangebotes in diesem Bereich koordiniert, die Entwicklung der Curricula und Prüfungselemente im Auge behält und nicht zuletzt den Studierenden des Lehramtes eine Anlaufstelle im Fachbereich Mathematik bietet, bei der sie kompetente Beratung und Hilfestellung in allen fachspezifischen Fragen ihres Studiums erhalten können.

Die wissenschaftliche Hausarbeit

Das Lehramtsstudium schließt mit der wissenschaftlichen Hausarbeit ab, die eine wesentliche Komponente einer akademischen Ausbildung ist. Hier können Studentinnen und Studenten zeigen, dass sie in der Lage sind, sich selbstständig Wissen anzueignen und Wissen bei der Bearbeitung eines hinreichend komplexen Problems systematisch anzuwenden. Diese Arbeit nimmt in der Regel einen Zeitraum von mehreren Monaten ein, in dem sich Studierende hauptsächlich diesem einen Thema widmen. Gerade für das Lernen von Mathematik ist diese ausführliche und selbstständige Beschäftigung mit einer Thematik von wesentlicher Bedeutung. Aus diesem Grunde ist es wünschenswert, die wissenschaftliche Hausarbeit im Fach anzufertigen. Das Thema sollte aus dem Studium heraus erwachsen. Es sollte fachwissenschaftlich oder fachbetont didaktisch sein und sich mit wissenschaftlichen Methoden mit der Mathematik beschäftigen, wie sie sich an der Schnittstelle zur Schule darstellt.

Lebenslanges Lernen

Für kaum einen Beruf ist lebenslanges Lernen so wichtig wie für den Lehrerberuf. Es gibt eigentlich keinen Bereich, in dem die heutigen rasanten technischen Entwicklungen ohne Mathematik denkbar sind. Entsprechend ist die lebenslange Fort- und Weiterbildung gerade für Mathematiklehrerinnen und -lehrer unabdingbar. Wegen der gegebenen Komplexität und notwendigen Aktualität der Inhalte können entsprechende Angebote in der Regel nur die mathematischen Fachbereichen entwickeln. Die Hochschulen müssen daher geeignete Programme für die Fort- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern anbieten. Es muss insbesondere erkannt werden, dass die Fort- und Weiterbildung in diesem Bereich eine genuine Aufgabe der Universitäten ist. Eine Voraussetzung ist es dabei, mit Schulen in Kontakt zu treten und das Angebot auf die Bedürfnisse der Praxis abzustimmen. Eine effektive Fortbildung kann nur in Zusammenarbeit zwischen Schule und Hochschule realisiert werden. Dabei muss von Seiten der Schulen die Verpflichtung zur Fortbildung verbindlich geregelt werden, d.h., sie sollten Fortbildungspläne für ihre Fachkollegien aufstellen und für die Umsetzung Sorge tragen, insbesondere Möglichkeiten für die Freistellung von Lehrerinnen und Lehrern für Fortbildungsveranstaltungen schaffen. Fortbildung sollte, insbesondere wenn sie in die Zeit der Schulferien fällt, entsprechend gewürdigt und - auch laufbahnwirksam - honoriert werden.

Auch die Fort- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern muss die enge Verzahnung fachlicher und fachdidaktischer Inhalte berücksichtigen. Insofern trifft vieles von dem, was in dieser Denkschrift zur Ausbildung beschrieben wurde, auch auf die Fort- und Weiterbildung zu. Schwerpunkte in den fachlichen Fortbildungsmaßnahmen liegen derzeit sicherlich in den Bereichen Anwendung von Mathematik, Modellbildung und Umgang mit den neuen Medien, fachdidaktisch u.a. bei Fragen der Unterrichtsqualität oder der Leistungsfeststellung. Auch für die Fort- und Weiterbildung gilt, dass ein Zusammenwirken von Kolleginnen und Kollegen sowohl der Mathematik als auch der Didaktik der Mathematik unerläßlich ist.

Zur Rolle der Bildungs-Politik und -Administration in der Lehrerbildung

Jüngere Tendenzen in der Bildungspolitik gehen dahin, im Kontext der Internationalisierung der Studiengänge und Arbeitsmärkte den Universitäten sehr viel größere Gestaltungsspielräume für die Ausgestaltung von Studiengängen einzuräumen. So begrüßenswert diese Entwicklung für Studiengänge wie Diplom, Bachelor oder Master sind, so sehr muss davor gewarnt werden, dieses unkritisch auf Lehramtsstudiengänge zu übertragen. Die Lehramtsausbildung wird nicht durch den Markt geregelt. Insbesondere darf der Staat die Hoheit über die Gestaltung der Lehramtsstudiengänge nicht vollständig an die einzelnen Universitäten abgeben, dies würde vermutlich nur einer Beliebigkeit der Inhalte Vorschub leisten. Jedoch ist es unabdingbar, dass die inhaltlichen Festlegungen für die einzelnen Fächer, wie Rahmencurricula, Festlegung von Teilgebieten und Stundentafeln im Grund- und Hauptstudium, viel mehr als bisher in enger Abstimmung mit den Experten in den Fachbereichen durchgeführt werden. Zwar sollten Lehramtsprüfungsordnungen und die globalen Vorgaben für Studienordnungen weiterhin aus den zuständigen Ministerien kommen und für alle Universitäten innerhalb eines Landes gleich gelten, aber die Wege zu den Fachbereichen müssen kurz werden. Die Entscheidungsträger sollten sich ohne zwischengeschaltete Bürokratie und Verwaltung direkt mit den Fachleuten in den Universitäten rückkoppeln. Dementsprechend sind die Fachbereiche hier gefordert, ein geeignetes Netzwerk zu bilden, das dem Ministerium als adäquater Verhandlungspartner auf Landesebene entgegentreten kann. Das kann zum Beispiel durch einen losen Zusammenschluss der an anderer Stelle geforderten Beauftragten der Lehramtsstudiengänge der einzelnen Fachbereiche geschehen.

Die innerhalb der Universitäten zu beobachtende aktuelle Tendenz zur Schaffung zusätzlicher Strukturen für die Lehrerbildung muss an dieser Stelle auch mit Skepsis betrachtet werden. Einrichtungen wie zentrale Lehrerausbildungskommissionen, Zentren für Lehrerbildung, Praktikumsbüros und dergleichen sollten sich auf übergreifende Aufgaben mehr organisatorischer Art beschränken. Für die inhaltliche Ausgestaltung von Studienordnungen ist die landesweite Vernetzung der Fachbereiche sehr viel wichtiger und förderlicher als weitere inneruniversitäre Einrichtungen und Abläufe.

Forderungen

Die Ausführungen dieser Denkschrift kommen von Kolleginnen und Kollegen, die als Mathematiker oder Fachdidaktiker in der Lehrerbildung tätig sind, und dokumentieren den Stand der Bemühungen dieser Personengruppe, in der Community der Fachleute wie auch konkret innerhalb der jeweiligen Fachbereiche zur Weiterentwicklung und Verbesserung der Lehrerbildung beizutragen. Allerdings können schon von der Struktur her, erst recht mit Blick auf die zur Verfügung stehenden Ressourcen, nicht alle Aufgaben von den Fächern selbst gelöst werden. Deswegen schliessen die DMV und die GDM diese Schrift mit folgenden Forderungen, die sich aus den obigen Überlegungen ableiten und die sich an die Politik, an die zuständigen Ministerien, teilweise auch an die Leitungen der Hochschulen richten:

Die Lehramtsausbildung, basierend sowohl auf fachlicher als auch auf fachdidaktischer Forschung, muss an den Universitäten fest verankert und aufgewertet werden.
Die fachliche und fachdidaktische Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer muss in den curricularen Normen und bei der kapazitativen Anrechnung den Studiengängen Diplom und Master gleichgestellt werden. Entsprechende Ressourcen müssen bereitgestellt werden.
Professoren- und Mitarbeiterstellen, die ihren Aufgabenschwerpunkt in der Lehrerbildung, insbesondere der Fachdidaktik haben, sind von Stellenstreichungen oder -umwidmungen auszunehmen.
Die derzeitige Nachwuchslage gerade im Bereich der Mathematikdidaktik macht es notwendig, für einen begrenten Zeitraum zusätzliche Mittel für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses bereit zu stellen. Dieses ist nicht durch Umschichtung innerhalb der Fachbereiche zu leisten, da die Anzahl der vorhandenen Stellen für den akademischen Mittelbaus sowohl in der Mathematik als auch in der Mathematikdidaktik bei weitem nicht ausreichend ist.
Die für das Fach Mathematik zur Verfügung stehende Wochenstundenzahl muss bundesweit einheitlich auf einem Niveau gehalten werden, das mit dem Ausbildungs- und Bildungsauftrag der Universitäten für die angehenden Lehrerinnen und Lehrer verträglich ist. Bei entsprechenden Beratungen wie auch bei der Weiterentwicklung von Studien- und Prüfungsordnungen sind die Fächer und ihre Expertengruppen für Lehramtsfragen direkt zu beteiligen.
Die Abschlussarbeit muss wieder den Charakter einer wissenschaftlichen Hausarbeit bekommen, in der ein schulnahes fachliches oder fachdidaktisches Thema in vertiefender Form bearbeitet wird.
Die Fort- und Weiterbildung von Mathematiklehrerinnen und -lehrern muss in breitem Umfang unterstützt werden, und zwar sowohl auf Seiten der Schuladministration als auch der Hochschulen.

Februar 2001

Gernot Stroth, Günter Törner, Rudolf Scharlau für die DMV
Werner Blum, Kristina Reiss für die GDM