Barbara Jablonska WirtschaftMathematik-Fan war Barbara Jablonska schon als Schülerin, schnelle Autos liebt sie erst, seit sie an der Entwicklung der Rennautos der AUDI AG mitwirkt. Die promovierte Mathematikerin hat eine besondere Vorliebe für Hybridmotoren und arbeitet in der Software-Abteilung des Motorsport-Zentrums von Audi im bayerischen Neuburg an der Optimierung des elektrischen Antriebs für Langstreckenrennen.

Frau Jablonska, stehen Sie auch manchmal selbst an der Rennstrecke?
Früher hat mich Motorsport wenig interessiert, aber seitdem ich bei Audi Sport arbeite, fahre ich zu dem jährlichen Rennen in Le Mans in Frankreich. Das 24-Stunden-Rennen ist das Hauptereignis für die World-Endurance-Championship-Serie (WEC), für die ich primär arbeite. Ich fahre aber nicht dienstlich dorthin, sondern als Fan.

An welchen Komponenten der Rennautos arbeiten Sie?
In meinem Verantwortungsbereich liegen die Hybrid-Funktionalitäten des Fahrzeugs, also die Ansteuerung des elektrischen Antriebstranges. Die sind für die Fahrer von strategischer Bedeutung. Beispielsweise darf der Elektromotor beim Rennen laut Reglement nur eine bestimmte Boost-Energie, also Energie für den Vortrieb des Fahrzeugs, umsetzen. Eine Funktion sorgt dafür, dass diese Energie genau an der Stelle eingesetzt wird, an der der Fahrer den größten Vorteil davon hat. Setzt man die Boost-Energie am Anfang einer Geraden ein, wirkt sich das anders aus als am Ende einer Geraden, denn kurz darauf folgt ja eine Bremsphase und die Energie geht verloren. So etwas reguliert das Steuergerät ganz von alleine. Der Fahrer kann sich voll und ganz auf die Strecke konzentrieren. Aber nicht alles ist automatisiert, der Fahrer hat auch ein paar ‚Stellschrauben‘, aber die bleiben natürlich geheim.

Sie sind promovierte Mathematikerin mit Spezialgebiet Differentialgeometrie. Hat das noch etwas mit ihrer jetzigen Tätigkeit zu tun?
In meiner Doktorarbeit ging es speziell um geschlossene Raumkurven. Dieses Thema findet hier keine direkte Anwendung, der Bereich der Differentialgeometrie allerdings schon. Bei der Funktionsentwicklung werden oft physikalische Zusammenhänge modelliert und dafür ist das Verständnis der Differentialgeometrie hilfreich. Und natürlich muss man diese Modellierungen auch durch mathematische Gleichungen auf die Software-Ebene bringen.

Warum haben Sie sich auf Differentialgeometrie spezialisiert?
Mein Antrieb war immer, Physik besser zu verstehen und den Schlüssel dafür sah ich in der Differentialgeometrie. Ich habe nach meinem Abitur nämlich zunächst Elektrotechnik studiert, und die Differentialgeometrie spielt hier für viele Themen eine wichtige Rolle, etwa für Magnetfelder.

Sie sind also auf Umwegen zum Mathematik-Studium gekommen?
Ja, obwohl Mathematik in der Schule immer schon das Fach war, an dem ich am meisten Spaß hatte. Aber am Ende meiner Schulzeit in Polen fand ich die beruflichen Perspektiven, also entweder Mathematiklehrerin oder Bankangestellte zu werden, nicht besonders verlockend. Deshalb beschloss ich, etwas anderes zu machen. 2001 habe ich an der Fachhochschule Reutlingen ein Elektrotechnik-Studium begonnen. Erst dort habe ich erfahren, dass es weit mehr berufliche Perspektiven für Mathematiker gibt und bin deshalb nach dem Vordiplom an die TU Darmstadt gewechselt, um Mathematik und Informatik zu studieren. Meinen Master habe ich an der Tulane-Universität in New Orleans gemacht und dann von 2007 bis 2012 an der TU Berlin in der Arbeitsgruppe Geometrie und Mathematische Physik promoviert.

Wie haben Sie nach den vielen Jahren an der Universität den Weg in die Automobil-Branche gefunden?
Schon während der Promotion war mir klar, dass ich die akademische Karriere nicht weiter verfolgen möchte. Deshalb habe ich mich noch vor Abschluss der Doktorarbeit nach einer Stelle in der Wirtschaft umgeschaut. Zunächst fand ich die bei einem Dienstleister der Automobilindustrie in Gifhorn, auch dort war ich schon in der Funktionsentwicklung tätig. Und über diese Arbeit habe ich auch Kontakt zur AUDI AG bekommen. Mein Traum war immer, mit Hybrid-Fahrzeugen zu arbeiten, und als bei Audi eine Stelle frei war, habe ich mich natürlich beworben. So bin ich 2014 bei Audi Sport gelandet.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Unser Arbeitsrhythmus richtet sich nach sogenannten Softwareentwicklungszyklen. Wenn zum Beispiel für einen Test auf einer Rennstrecke eine neue Funktionalität benötigt wird, dann erarbeiten wir in der Softwareabteilung ein Konzept, das alle Anforderungen erfüllt. Im nächsten Schritt wird die Funktion von mir implementiert. Das dauert ein oder zwei Wochen, je nachdem wie aufwendig sie ist. Danach wird sie in die Gesamtsoftware integriert und auf einem Steuergerät in unserem Labor getestet. Dort haben wir den gesamten elektrischen Aufbau, ich kann also eine Fahrt simulieren und sehe sofort, ob die Funktion richtig reagiert. Wenn hier alles gut läuft, wird diese Software von den Fahrern und den Ingenieuren auf der Rennstrecke getestet.

Was gefällt Ihnen besonders an dieser Arbeitsumgebung?
Was mir am Motorsport gefällt, ist die hohe Dynamik. Die Entwicklungszyklen sind bei uns sehr kurz. Das heißt, wenn ich heute eine Funktion entwickle, dann kann ich sie schon morgen testen und in wenigen Tagen landet die Software auf der Rennstrecke, wird von Fahrerinnen und Fahrern getestet, und ich bekomme sofort Feedback. In der Serienproduktion sind die Zyklen um ein Vielfaches länger. Wochen sind da eher Monate.

Arbeiten Sie bei Audi Sport auch mit anderen Mathematiker*innen zusammen?
Unter den 350 Mitarbeitern hier im Kompetenzzentrum Motorsport, wie der Audi-Standort in Neuburg offiziell heißt, bin ich tatsächlich die einzige Mathematikerin. In meiner Abteilung sind wir 13 Mitarbeiter, die meisten Kollegen haben Elektrotechnik oder Maschinenbau studiert. Ein Umfeld, in dem ich viel lernen kann. In dem Unternehmen in Gifhorn, wo ich vorher gearbeitet habe, waren hingegen die promovierten Mathematikerinnen unter den Funktionsentwicklern in der Mehrheit.

Das ist jetzt im Motorsport-Bereich sicher anders.
Ja, das stimmt. Als ich hier im letzten Jahr angefangen habe, war ich die einzige Frau in der Abteilung. Aber das liegt nicht daran, dass Frauen nicht willkommen sind. Ich vermute, manche Frauen trauen sich nicht so recht, weil es eben Motorsport ist. Ich fühle mich im Team sehr wohl. Und mittlerweile haben wir auch weibliche Verstärkung bekommen.

Wie verstehen Sie Ihren Beruf als Mathematikerin, ist er auch ein Stück Berufung?
Ich sehe Mathematik als Berufung. Auch wenn meine Arbeit hier nicht in erster Linie mit Mathematik zu tun hat, fühle ich mich trotzdem als Mathematikerin. Ich gehe ähnlich kritisch und strukturiert an ein Problem heran wie bei einem mathematischen Beweis, etwa indem ich alle Sonderfälle, alle Eventualitäten berücksichtige. Das sind mathematische Kompetenzen, die ich einbringe genauso wie das analytische Denken oder die Präzision im Denken und in der Ausführung.

Was sollten angehende Mathematiker*innen beachten, wenn Sie eine Tätigkeit in der Automobilindustrie anstreben?
Ganz wichtig sind Programmierkenntnisse. Und damit meine ich nicht nur eine bestimmte Programmiersprache, sondern die Softwareentwicklung als Konzept. Sehr wichtig ist auch ein frühzeitiger Kontakt zur Industrie, etwa durch Praktika oder Werkstudententätigkeiten. Auch wenn das im Studium nicht verpflichtend ist, ich würde auf jeden Fall raten, sich Zeit für so etwas zu nehmen. Ich war während meines Studiums Werkstudentin bei einem Automobil-Zulieferbetrieb, der unter anderem Projekte für Porsche übernommen hat. Da habe ich eine Vorstellung davon bekommen, was für aufregende Sachen man als Mathematiker in der Automobilindustrie machen kann.

Wie kommen Studierende an praktischen Erfahrungen in der Automobilbranche?
Sehr viele unserer Mitarbeiter hier bei Audi Sport haben während ihres Studiums Erfahrungen bei der Formula Student gemacht. Das ist so etwas wie die Formel 1 für Studenten. Es gibt an vielen Universitäten Formula-Student-Teams. Dort kann man Erfahrungen sammeln und auch mit späteren Arbeitgebern in Kontakt kommen. Auch Audi ist in der Formula Student als Förderer unterwegs. Auf diesem Wege lässt sich auch eine Praktikumsstelle oder eine Masterarbeit in der Industrie finden. Audi Sport bietet ebenfalls solche Stellen an.

Wie viel Technologie, die im Motorsport erprobt wird, fließt in die Entwicklung der normalen Straßenautomobile ein?
Sehr viel – der Audi-Allradantrieb quattro wurde im Motorsport erfunden und wird seit Jahrzehnten in der Serienproduktion eingesetzt. Ein ganz aktuelles Beispiel ist Laserlight. Der Laserscheinwerfer wurde zunächst für die Le-Mans-Rennen entwickelt und fand 2014 das erste Mal Anwendung in der Serie.

 

Das Gespräch führte Kristina Vaillant,
freie Journalistin in Berlin.
www.vaillant-texte.de