Adela Weil WirtschaftAusbildung zur Mathematikerin:
Diplom Finanz- und Wirtschaftsmathematik an der TU München, Promotion Schwerpunkt Stochastik und mathematische Physik an der Uni Bonn

Jetzige berufliche Position:
Data Scientist bei Webrepublic AG

Frühere berufliche Positionen:
Postdoc am Technion in Haifa, Quantitativer Analyst bei einer Bank in der Schweiz

Wie haben Sie Ihre jetzige Stelle gefunden? Wie lange mussten Sie suchen?
Nach meiner Zeit als Postdoc und Doktorand war mir immer klar, dass ich in einem Bereich arbeiten möchte, in dem ich weiterhin viele Berührungspunkte mit der Mathematik habe. Zugleich wollte ich etwas machen, bei dem ich direkt die Anwendung oder den Nutzen in der realen Welt sehen konnte. Dank zweier Praktika, die ich während des Studiums absolviert hatte, wusste ich, dass ein Quantitativer Analyst in einer Bank recht mathematisch arbeitet; also entschied ich mich, in diese Branche einzusteigen. Ich merkte dann aber, dass ich lieber in einem Bereich arbeiten möchte, der näher an der Schnittstelle zwischen neuen Technologien, der Mathematik und menschlichem Verhalten liegt. Dadurch bin ich auf den Beruf des Data Scientists gestossen. Im Internet bin ich dann unter anderem auf die Stellenausschreibung der Webrepublic gestossen und habe mich von dieser sehr angesprochen gefühlt. Was mir auf der Stellensuche aufgefallen ist: Da Mathematiker sehr gefragt und relativ rar sind, geht die Stellensuche recht schnell – vorausgesetzt, man weiss, in welche Richtung man sich entwickeln möchte.

Wie sieht Ihr typischer Arbeitsalltag aus? Welche Rolle spielt die Mathematik dabei?
Drei Themenbereiche beschäftigen mich in meinem Arbeitsalltag: Erstens werde ich in den Planungsprozess von Kundenkampagnen miteinbezogen. In dieser Phase helfe ich bei der Planung von Kampagnen, in denen User über verschiedene Kanäle, wie zum Beispiel Text- und Displayanzeigen oder Facebook, angesprochen werden; ich unterstütze die Implementierung von Trackinglösungen, um die Reaktion der User auf die Kampagne messen zu können, definiere Zielgrössen zur Quantifizierung des Erfolgs der Kampagne und erstelle häufig ein Tool zur täglichen Berichterstattung.

Der zweite Teil meiner Arbeit dient dazu, bereits gesammelte Daten (entweder einer alten Kampagne, einer laufenden Kampagne oder am Ende einer Kampagne) zu analysieren und daraus handlungsrelevante Empfehlungen zur Optimierung zu geben. Dies kann zum Beispiel bedeuten, dass ich Cluster von vielversprechenden Kunden identifiziere oder das Budget zwischen verschiedenen Subkampagnen optimal verteile. Darüber hinaus analysiere ich die Ergebnisse von Tests, in denen beispielsweise der Erfolg von zwei verschiedenen Anzeigentexten verglichen wird.

Der letzte Teil meiner Arbeit besteht aus Forschung. Dabei sind wir ständig auf der Suche nach neuen Modellen und Ansätzen, die das menschliche Verhalten erklären.

Die Mathematik spielt in all diesen Tätigkeiten eine zentrale Rolle: die Datenstrukturierung erinnert mich an Algebra, die Datenaufbereitung ist Mengenlehre und die Datenanalyse ist Statistik.

Sind Sie mit Ihrem Beruf zufrieden?
Ich bin mit meinem Beruf sehr zufrieden. Dies liegt zunächst daran, dass ich direkt die praktische Relevanz der Mathematik sehe und mit der Theorie, die ich an der Uni gelernt habe, das Unternehmen unmittelbar weiterbringen kann. Ausserdem, und das hätte ich während meiner Unizeit nie gedacht, macht mir das Programmieren sehr viel Spass.

Am Ende schätze ich es auch sehr, dass mir meine Firma Gestaltungsfreiräume gewährt, solange ich die Relevanz meiner Arbeit erfolgreich vermitteln kann. Das bedeutet auch, dass ich die Möglichkeit habe, mich gezielt weiterzubilden. Da Data Science – übertrieben gesagt – noch in den Kinderschuhen steckt, ist dies auch notwendig. All das bringt sehr viel Abwechslung in meine Arbeit.

Finden Sie die Mathematik-Ausbildung an der Universität angemessen in Hinblick auf die beruflichen Herausforderungen? Haben Sie Verbesserungsvorschläge?
Ich persönlich finde die Ausbildung an der Universität auf jeden Fall angemessen. Man darf das Studium nicht mit einem Arztstudium vergleichen, das einen direkt auf das Ausüben eines spezifischen Berufs vorbereitet. Im Mathestudium geht es vielmehr darum, dass man sich logisches und strukturiertes Denken aneignet, das einem helfen wird, komplizierte oder komplexe Probleme zu lösen – wie viel man von dem Erlernten später konkret im Beruf anwenden kann, hängt natürlich auch davon ab, wie man sich spezialisiert und welchen Beruf man später ergreift.

Dürfte ich wünschen, hätte ich zwei Verbesserungsvorschläge: einerseits müssten Industriepraktika und Programmierkurse Pflicht sein. Andererseits wäre es interessant wenn noch mehr Vorlesungen aus aktuellen, für die Industrie relevanten, Bereichen angeboten werden würden. Dabei denke ich als Beispiel an das fächerübergreifende Machine Learning.

Wenn Sie noch einmal Abiturient/Abiturientin wären, würden Sie dann wieder Mathematik studieren?
Ich würde auf jeden Fall wieder Mathematik studieren, da es mir persönlich auch weiterhin sehr viel Spass bereitet und nach dem Studium viele Optionen offen stehen.
Könnte ich mir selbst eine E-Mail in die Vergangenheit schreiben, würde ich mir selbst raten, eher etwas Technisches, z.B. Informatik, als Nebenfach zu wählen. Was ich zu Beginn meines Studiums nämlich nicht wissen konnte: bei meiner heutigen Arbeit benötige ich Grundlagen aus der Informatik, die ich jetzt nachlernen muss.

Was bedeutet Ihnen persönlich die Mathematik? Haben Sie besondere Erfahrungen gemacht oder interessieren Sie bestimmte Fragen aus der Mathematik besonders?
Für mich persönlich bedeutet Mathematik pures logisches Denken und in gewisser Weise ist sie auch äusserst ästhetisch – Viele Beweise kommen mir vor wie ein Kunstwerk und viele Theorien erscheinen mir als unvergleichlich elegante Denkkonstrukte.

Insbesondere finde ich Bereiche, die an der Schnittstelle von Mathe und anderen Wissenschaften liegen, sehr spannend. Ich finde es sehr interessant, dass Mathe oft verwendet wird, um Gesetzmässigkeiten in anderen Disziplinen aufzuzeigen – zum Beispiel Muster im Zielgruppenverhalten eines meiner Kunden.

Haben Sie Zeit (und Lust), sich neben dem Beruf über (für Sie) neue und aktuelle Bereiche der Mathematik zu informieren?
Ich beschäftige mich immer wieder mal mit neuen und aktuellen Bereichen. Dabei spielt mein Mann eine wichtige Rolle, er ist auch Mathematiker. Er hat in einem anderen Bereich promoviert als ich und so kommt es schon mal vor, dass wir uns schon morgens beim Frühstück über mathematische Fragestellungen unterhalten.

Wie wird der Beruf des Mathematikers / der Mathematikerin in der Öffentlichkeit bewertet?
Ich kann nur für mich antworten, und das bildet nur einen Teil der Öffentlichkeit ab. Meine Erfahrungen sind sehr positiv. In der Regel begegnet man mir mit sehr viel Respekt, oft aber natürlich mit verschiedenen Klischees. Über Klischees kann ich einerseits sehr gut lachen, muss aber andererseits auch manchmal zugeben, dass ein Funken Wahrheit dahinter steckt – auch mit Blick auf meine eigene Persönlichkeit.
Einzig Physiker äussern ab und an die Meinung, dass ich besser Physik hätte studieren sollen, um etwas „Anständiges“ zu lernen – aber die Physiker bilden ja nun einen wirklich sehr kleinen Teil der Öffentlichkeit ...

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit zur Beantwortung unserer Fragen genommen haben!