Georg Vogelhuber WirtschaftDie Spiele heißen Fancy Fruits, Mistress of Magic oder Win Shooter – es sind elektronische Glücksspiele, die auf den Automaten im Spielsalon laufen, die auch als Einarmige Banditen bekannt sind. Der Mathematiker Georg Vogelhuber entwickelt seit acht Jahren Konzepte für solche Glücksspiele. Das machen außer ihm nur etwa 30 weitere Mathematiker in Deutschland. Es ist eine überschaubare Branche mit fünf kleinen bis mittelgroßen Unternehmen. Das Berliner Unternehmen Gamomat, 2008 von einem Mathematiker gegründet, bestückt mehr als 30 000 Spielautomaten mit Glücksspielen, hauptsächlich in Deutschland. Georg Vogelhuber leitet das dreiköpfige Mathematiker-Team des Unternehmens.

Herr Vogelhuber, haben Sie ein besonderes Verhältnis zum Spielen? Ich bin jemand, der dem Spielen ganz grundsätzlich zugeneigt ist. Ich spiele gerne – Brettspiele, Strategiespiele, aber auch Computerspiele. Poker habe ich als Student auch gespielt, am PC und im Casino.

Ist das der Grund, warum Sie nach dem Studium in die Spiel automatenbranche gegangen sind? Nein, nicht direkt. Als ich 2006 mein Mathematik-Studium an der Universität Bielefeld beendet hatte, suchte ein in der Nähe ansässiges Unternehmen Spieleentwickler. Und da dachte ich: Ich spiele ja gerne, da bewerbe ich mich. Das hat alles gut gepasst, also habe ich dort mein Handwerk gelernt. An der Uni hatte ich mich vorher mit Invarianten, mit Homologie und Spektralfolgen beschäftigt; das ist weit weg von der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Überhaupt lernt man im Studium ja nicht unbedingt etwas über Spielautomaten oder das Glücksspiel. Dabei lieferte das Glücksspiel Mathematikern im 17. Jahrhundert den Anstoß, sich mit Wahrscheinlichkeitsrechnung zu beschäftigen.

Was bedeutet Spieleentwicklung für Sie? Wenn man als Mathematiker arbeitet, ist vor allem eine Sache entscheidend: die Denkweise. Bei der Spieleentwicklung ist es besonders wichtig, dass man einen Bereich, der durch Regeln abgedeckt ist, gut erfassen kann. Das sind zum einen die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Geldspielautomaten – beispielsweise darf ein Spieler in Deutschland nicht mehr als 80 Euro pro Stunde verlieren. Diese Regeln kann man als Axiome nehmen, und dann legt man innerhalb dieses Rahmens eigene Regeln für den Ablauf des Spiels fest. Dieses Regelsystem muss vollständig und exakt sein, und man muss es verstehen.

Nicht alle Leser waren schon einmal im Spielsalon. Können Sie den Ablauf eines solchen Spiels schildern? Bei einem einfachen Spiel gibt es Walzen, die sich drehen, und wenn eine Kombination von gleichen Symbolen in einer Reihe erscheint, gewinnt ein Spieler. Bei einem komplizierteren Spiel baut man Freispiele als besondere Ereignisse ein oder Joker oder Multiplikatoren; wenn die erscheinen, werden die erspielten Punkte mit drei malgenommen. Als Entwickler muss man dafür sorgen, dass die Gewinne ausreichend häufig kommen, dass sie ausreichend hoch, aber nicht zu teuer sind. Dem Spieler muss man für das Geld, das er einwirft, maximale Unterhaltung bieten. Dafür sollten die Spannungsmomente in der richtigen Abfolge kommen und dem Spieler ein Ziel suggeriert werden, auf das er warten kann. Er hat dann die Fantasie, dass er später wirklich etwas gewinnen kann. Vieles spielt sich gar nicht im Automaten, sondern im Kopf des Spielers ab.

Ist der Ablauf des Spiels berechenbar? Zu Beginn berechnen wir die Spiele mit Excel, das ist erstaunlicherweise das beste Programm dafür. Danach programmieren wir Simulationen, mit denen wir hundert Millionen oder eine Milliarde Spiele nachstellen, um unsere Berechnungen zu überprüfen. Dafür haben wir unsere eigene Software entwickelt. Aber man kann nicht alles berechnen. Die Auszahlquote für die Spieler, die steht fest: Ein Spieler wirft einen Euro ein, bekommt im Durchschnitt 95 Cent heraus, und mit diesen 95 Cent spielt er wieder, dann hat er 95 Prozent von 95 Cent, und so weiter. Aber die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Spieler tatsächlich etwas gewinnt, die kann man nicht ausrechnen. Dafür gibt es zu viele Kombinationsmöglichkeiten. Dass das Spiel am Automaten auch zufällig abläuft, das glauben die wenigsten Leute. Aber der Zufall ist tatsächlich der beste Spieleentwickler.

Wie lange dauert es, um ein solches Spiel zu entwickeln? Normalerweise zwei Wochen, ein einfaches Spiel kann aber auch schon nach zwei Tagen fertig sein. Und wir hatten auch schon Spiele, an denen wir Mathematiker ein Jahr lang gearbeitet haben. Insgesamt haben wir seit der Gründung von Gamomat vor sieben Jahren bestimmt über 200 Varianten von einigen grundlegenden Spielideen produziert.

Wie gehen Sie vor – von der Berechnung bis zum fertigen Spiel? Als Teamleiter plane ich unsere Aufgaben, gehe mit meinen beiden Mathematiker-Kollegen die Ergebnisse durch und kümmere mich um die Feinabstimmung. Mathematik ist aber nur ein Arbeitsbereich, es gibt noch die Grafik und die Animation, den Sound und die Programmierung. Die Gamedesigner sind diejenigen, die dafür sorgen, dass alle Elemente gut aufeinander abgestimmt sind. Wenn alles fertig ist, macht der Softwareentwickler auch noch einmal eine Simulation. Die vergleichen wir dann mit unseren Berechnungen.

Welche Aufgaben erledigen sie am liebsten? Spiele gestalten! Das ist eine kreative Aufgabe. Aus dem Nichts etwas zu erschaffen, das macht mir am meisten Spaß; und dann die Simulationen dazu zu programmieren und das Spiel nachher wirklich so weit feinzujustieren, dass ich sagen kann: Das ist spannend, das Spiel würde ich auch selbst spielen.

Tauschen Sie sich mit anderen Mathematikern in der Glücks spielbranche aus? Es gibt in den sozialen Netzwerken ein paar Gruppen. Aber keiner verrät wirklich seine Geheimnisse, man ist sehr verschwiegen. Denn die Mathematik eines Spiels stellt den größten Wissensschatz einer Spielefirma dar. Die Mathematik ist das einzige, was nicht nach außen sichtbar ist, und deshalb nicht ohne weiteres kopiert wer- den kann.

Kommen wir zur Schattenseite der Branche. Anders als Lotto genießen Automaten-Glücksspiele keinen guten Ruf. Sie kön nen wegen der schnellen Spielfolgen – jedes Spiel dauert nur zwei bis drei Sekunden – süchtig machen. Was können Spie leentwickler dagegen unternehmen? Was diese suchtgefährdenden Faktoren angeht, können wir relativ wenig tun. Wenn wir sie begrenzen, würden wir das Spiel auch wieder langweilig machen. Die Suchtgefahr zu begrenzen, das ist meiner Meinung nach eher ein Thema für das Geldmanagement, das sich nach gesetzlichen Vorgaben richtet: Wie viel Geld darf ein Spieler maximal einwerfen, gewinnen und verlieren? Das ist der eigentliche Hebel, da kann man am meisten für den Spielerschutz tun.

Würden Sie Uni-Absolventen die Branche empfehlen? Ja, weil wir wirklich mit Mathematik arbeiten. Man muss sich mit Stochastik, mit Kombinatorik und Statistik beschäftigen. Und man stößt auch immer wieder an Grenzen, weil es Voraussetzungen gibt, die nicht erfüllt sind. Zum Beispiel erzeugen die Überschneidungen von Gewinnlinien Abhängigkeiten in dem Zufallsprozess, die man nicht mehr auflösen kann. Wir versuchen aber, unsere Möglichkeiten der Berechnung immer wieder zu erweitern, indem wir uns mit den theoretischen Fragestellungen auseinandersetzen.

Haben Sie moralische Bedenken bei dem Produkt, das sie her stellen? Nein, ich sehe das so: Alle Konsumenten haben erst mal die freie Entscheidung, ob sie so ein Produkt nutzen, ob sie ihr Geld in den Automaten werfen wollen oder nicht. Wer süchtig wird, weil er vielleicht ganz zu Anfang die positive Bestätigung bekommen hat, die er sucht, trifft natürlich keine freie Entscheidung mehr. Aber das kommt bei Alkohol, Zigaretten oder Computerspielen genauso vor. So gesehen ist das Glücksspiel für mich ein Produkt wie jedes andere.

Welche mathematische Vorbildung sollten Bewerber mitbringen? Mit Stochastik sollten sie vertraut und in Informatik fit sein. Ganz allgemein ist algorithmisches Denken hilfreich, weil man ein System von Regeln und Abläufen hat, das man gut verstehen muss. Da helfen Kenntnisse aus der theoretischen Informatik wie die Komplexitätstheorie. Das Handwerk der Spieleentwicklung selbst, das erlernt man dann im Unternehmen.

Kristina Vaillant ist freie Journalistin in Berlin und arbeitet regelmäßig für das Medienbüro der Deutschen Mathematiker-Vereinigung.