"Mit dem Abelpreis hat Pierre Deligne seine Sammlung wichtiger Preise für Mathematiker vervollständigt: Er erhielt bereits 1978 die Fields-Medaille, 2008 den Wolf-Preis (gemeinsam mit Phillip Griffiths und David Mumford) und - zusammen mit seinem Doktorvater Alexandre Grothendieck - 1988 den Crafoord-Preis.

Man kann ohne Übertreibung sagen, dass Deligne zu den wichtigsten Mathematikern unserer Zeit gehört. Und es ist auch nicht übertrieben zu sagen, dass das, was er geleistet hat, schwer zu vermitteln ist.

"Delignes berühmtestes Resultat ist sein Beweis der Riemannvermutung für Mannigfaltigkeiten über endlichen Körpern, der Vermutung, die nicht aus der Arbeit von Grothendieck folgte. Ich wünschte, ich könnte etwas Erhellendes über diesen Beweis sagen, aber ich kann es nicht. Ich kann nur versuchen, zu vermitteln, wie erstaunlich der Beweis war und warum man ihn einem nicht-mathematischen Publikum nicht erklären kann, indem ich wiederhole, was andere darüber gesagt haben", schreibt Timothy Gowers in seiner Zusammenfassung der Leistungen Delignes. (Und auch Gowers zählt zu den wichtigsten Mathematikern unserer Zeit, aber das ist eine andere Geschichte...)


Worum geht es in der Arbeit von Pierre Deligne? Sein Gebiet ist die algebraische Geometrie, derzeit eines der aktivsten und produktivsten Felder der aktuellen Mathematik und -- ganz allgemein gesprochen -- eine Brücke zwischen der Algebra, also der Mathematik der Strukturen von Zahlenmengen, und der Geometrie. Nur etwas weniger allgemein ausgedrückt: In der algebraischen Geometrie beschäftigt man sich mit der Struktur von Nullstellenmengen von Polynomen. (Ganz einfache Polynome lernt man schon in der Schule kennen: ax2 + bx + c; die Zahlen a,b und c heißen Koeffizienten.)

Nach seinem Studium in Brüssel hatte Deligne Mitte der 1960er Jahre Alexandre Grothendieck kennengelernt, der damals einer der führenden Köpfe der algebraischen Geometrie war und am französischen Forschungsinstitut IHES arbeitete. Grothendieck versuchte in diesen Jahren, eine Reihe von Vermutungen seines Kollegen André Weil aus den späten 1940er Jahren zu beweisen; Weil hatte 1946 eine Theorie von algebraischen Mannigfaltigkeiten entwickelt, Nullstellenmengen von Polynomen, deren Koeffizienten aus einem beliebigen, auch endlichen Körper stammen durften. (Ein Körper ist eine Menge von Zahlen zusammen mit einer Vorschrift, wie diese Zahlen zu addieren, subtrahieren, multiplizieren und dividieren sind. Ein allseits bekannter Körper ist der der reellen Zahlen, und ein sehr kleiner endlicher Körper ist der F2, der nur die zwei Zahlen 1 und 0 enthält. In diesem Körper gilt zum Beispiel 1+1=0. Eine ganz einfache Mannigfaltigkeit ist ein Kreis in zwei Dimensionen, die Nullstellenmenge des Polynoms x2 + y2 - 1.)

Endliche Köper sind etwas sehr Interessantes, und nicht nur deshalb, weil die Nullstellenmenge der betrachteten Polynome nicht unendlich groß werden kann, weil der Körper eben nur endlich viele Elemente enthält. Sie sind auch aus anderen Gründen spannend, zum Beispiel, weil es einen -- vergleichsweise einfachen -- Mechanismus gibt, um aus einem endlichen Körper mit p Elementen einen mit p2, p3, p4 Elementen zu basteln.

Mit diesem Mechanismus aber kann man nun die Größe der Nullstellenmenge eines Polynoms nicht mehr nur über einem Körper, sondern auch über einer "Kette" von Körpern betrachten. Man erhält für ein gegebenes Polynom so eine Reihe von Zahlen. Damit wiederum kann man eine Art Verallgemeinerung der Riemannschen Zetafunktion definieren. Weils Vermutungen drehten sich um genau diese Funktion; er glaubte zum Beispiel, diese Zeta-Funktionen ließen sich als eine rationale Funktion mit gewissen Zusatzeigenschaften schreiben.

Um die Vermutungen zu beweisen, entwickelte Grothendieck ein Konzept weiter, das in der algebraischen Geometrie von Weil eingeführt worden war und sich als extrem nützlich erwiesen hatte: Die Kohomologie. Grothendiek entwickelte sie zur "étale cohomologie" weiter und knackte damit drei der vier Vermutungen Weils. Die dritte Vermutung blieb offen, bis Deligne Grothendiecks Kohomologie nochmal weiter entwickelte und damit bei Grothendieck promovierte. 1974 bewies er damit die dritte Weil-Vermutung und dieser Beweis war es, der Deligne 1978 die Fields-Medaille bescherte und die Fachwelt in Begeisterung versetzte: Bekanntermaßen sind die Nullstellen der Riemannschen Zeta-Funktion eng mit der Zahlentheorie (der Anzahl der Primzahlen bis zu einer Schranke nämlich) verknüpft. Nun erweiterte Delignes Arbeite diese Brücke von der Zahlentheorie bis in die algebraische Geometrie und Topologie.

Tatsächlich bildete diese Arbeit nur den Auftakt. Deligne machte sich in den folgenden Jahrzehnten einen Namen auch in der Theorie der Modulräume, der Differentialgeometrie und anderen Bereichen, die an der algebraischen Geometrie anschließen."

Thomas Vogt

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