Anlässlich ihrer Gedenktage im August 2018 würdigen wir folgende Mathematiker*innen und ihre Errungenschaften: den norwegischen Mathematiker Øystein Ore, die schottische Mathematikerin Flora Philip und den deutschen Mathematiker Friedrich Moritz Hartogs.
Øystein Ore hat am 13. August seinen 50. Todestag.
Ore war der erste Mathematiker, der sich mit Schiefpolynomen und ihrer Faktorisierung beschäftigte. So werden diese auch Ore-Polynome genannt. Die von ihm entdeckten Ore-Bedingungen zur Verallgemeinerung der Lokalisierung auf nicht-kommutative Ringe tragen ebenfalls seinen Namen.
Am 7. Oktober 1899 wurde Ore in Kristiania (heute Oslo) geboren und ging dort auch zur Schule. Er studierte bei Thoralf Skolem in Oslo sowie bei Emmy Noether in Göttingen und war einige Zeit am Mittag-Leffler Institut in Djursholm in Schweden. Ore arbeitete zunächst in der Gruppentheorie und in algebraischer Zahlentheorie, dann in der Theorie nichtkommutativer Ringe. 1924 promovierte er in Oslo mit dem Thema: „Zur Theorie der algebraischen Körper“ bei Thoralf Skolem. Ein Jahr später besuchte er nochmals Göttingen und die Sorbonne in Paris, bevor er im gleichen Jahr Assistent in Oslo wurde. Durch eine Einladung von der Yale University wurde er dort 1928 Associate und in den folgenden drei Jahren Full Professor und Sterling Professor. Hier arbeitete er mit Garrett Birkhoff über Verbandstheorie (Lattice Theory) und wandte sich danach der Graphentheorie zu, über die er einige Bücher schrieb. Im Jahr 1930 heiratete er Grudrun Lundevall, mit der er zwei Kinder hatte. 1936–1945 war er dort Chairman der Fakultät und besuchte fast jedes Jahr in diesem Zeitraum Oslo. Für die Unterstützung seiner Heimat durch Hilfssendungen im Zweiten Weltkrieg wurde er 1947 vom norwegischen König zum Ritter von St.Olaf ernannt. Er war Mitglied der American Academy of Arts and Sciences (1966) und der Akademie der Wissenschaften in Oslo. 1936 hielt er einen Plenarvortrag auf dem Internationalen Mathematikerkongress in Oslo (The decomposition theorems of algebra). Er blieb in Yale bis zu seiner Emeritierung 1968. Zu seinen Doktoranden zählte unter anderen die bekannte US-amerikanische Computerpionierin Grace Hopper.
Die Arbeit mit Emmy Noether beinhaltete vor allem die Herausgabe der gesammelten Werke von Richard Dedekind. Bekannt ist er auch für seine Biografien von Niels Henrik Abel und Gerolamo Cardano, als Historiker der Wahrscheinlichkeitstheorie (insbesondere der Rolle von Blaise Pascal) und Autor mehrerer Bücher über das Vierfarbenproblem und die Geschichte der Zahlentheorie geworden.
Flora Philip hat am 14.August ihren 75. Todestag.
Flora Philip wurde 1886 als erste Frau in die Edinburgh Mathematical Society aufgenommen und zählte zu den ersten Frauen, die einen Abschluss von der University of Edinburgh erlangten. Anlässlich des fünfzigjährigen Jubiläums ihrer Graduation 1943 ehrte die University of Edinburgh Philip und zählt sie zu ihren bedeutenden Alumni.
Als Tochter des Bauingenieurs William Philip und dessen Frau Isabella McDougall kam Sie in Tobermory 1865 zur Welt. Die Familie zog nach Tain, wo Philip an der Tain Royal Academy die Schule besuchte. 1883 zog Philip nach Edinburgh. Zu dieser Zeit war Frauen in Schottland die Einschreibung an der Universität nicht erlaubt. 1867 wurde jedoch eine Gruppe von Frauen, die Edinburgh Ladies’ Educational Association (ab 1879 Edinburgh Association for the University Education of Women, EAUEW), gegründet. Mit der Unterstützung zahlreicher Professoren wurde ein höheres Bildungsprogramm für Frauen angeboten, welches sich an den universitären Lehrplänen orientierte. Im Rahmen der EAUEW besuchte Philip Kurse in Englischer Literatur, Moralphilosophie, Mathematik und Physiologie. Zusätzlich war sie Teil eines Lernzirkels, der sich mit altgriechischen Studien befasste. Sie erhielt mehrere Auszeichnungen für ihre außergewöhnlichen Lernleistungen.
1888 wurde Philip stellvertretende Leiterin an der St. George’s High School for Girls. Nach einer Gesetzesänderung ließ die University of Edinburgh 1892 erstmals auch weibliche Studierende zu. Philip nahm dieses Angebot wahr und erhielt bereits nach einem Jahr ihren Masterabschluss, da die Leistungen, die sie im Rahmen der EAUEW erbracht hatte, zum größten Teil anerkannt wurden. Sie war somit eine der ersten acht Absolventinnen der Edinburgh University. Noch im selben Jahr heiratete sie den Rechtsanwalt George Stewart und zog sich fortan als Hausfrau ins Privatleben zurück. Sie gab ihre Stelle als Lehrerin auf und trat aus der Edinburgh Mathematical Society aus.
Friedrich Moritz Hartogs hat am August seinen 75. Todestag.
Hartogs leistete Pionierarbeit auf dem Gebiet der komplexen Analysis in mehreren Variablen. Aus seinen Arbeiten entstanden später die grundlegenden Begriffe Holomorphiehülle und Holomorphiegebiet.
Hartogs wurde 1874 in Brüssel als jüdischer Sohn des Kaufmanns Gustav Hartogs und seiner Frau Elise Feist geboren und wuchs in Frankfurt am Main auf. Er studierte an der TU Hannover, an der Technischen Hochschule und der Universität in Berlin sowie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er 1903 bei Alfred Pringsheim mit Auszeichnung promovierte. In dieser Zeit lernte er seine zukünftige Frau kennen, die er 1900 heiratete und später vier Kinder hatte. Für sie lehnte er 1922 zu Zeiten der Inflation einen Ruf zur Professur der Universität Frankfurt ab, da ihm der Stiftungsstatus der Universität zu unsicher war. Ab 1905 war er Privatdozent, ab 1910 außerordentlicher, und etwas verzögert wurde er 1927 ordentlicher Professor in München. Eine Aufnahme in die Bayerische Akademie der Wissenschaften scheiterte an der Konkurrenz. Hartogs wurde von André Weil als scheu und zurückhaltend beschrieben, was in der Literatur als Begründung für seine „Karriere-Verzögerungen“ einbezogen wird.
In seiner Habilitation 1905 bewies er den sogenannten Satz von Hartogs. Er besagt, dass die Holomorphie von Funktionen mehrerer Veränderlicher sicherstellt, falls sie in jeder Variablen separat holomorph sind. In der Mengenlehre ist von ihm bekannt: der Satz von Hartogs, der zu jeder Menge die Existenz einer wohlgeordneten Menge größerer Kardinalität sicherstellt, einen elementaren Beweis des Weierstraß‘schen Vorbereitungssatzes, des Zermelo‘schen Wohlordnungssatzes und des Jordan‘schen Kurvensatzes.
Aufgrund seiner jüdischen Wurzeln wurde Hartogs tragisches Opfer des 2. Weltkriegs. 1935 wurde er von den Nationalsozialisten zum Rücktritt gezwungen und in Isolation gedrängt, da er unter Beobachtung stand und niemanden in Gefahr bringen wollte. 1938 zur Reichspogromnacht wurde Hartogs neben über 30.000 weiteren Juden ins KZ gebracht. Er wurde für einige Wochen ins KZ Dachau eingewiesen und misshandelt. Ab 1941 musste er den Judenstern tragen und ließ sich von seiner „arischen“ Frau scheiden, um der Enteignung des Hauses entgegenzuwirken und seine Familie zu schützen. Durch diesen Scheidungsprozess, der in die Länge gezogen wurde, konnte er eine Einweisung in ein Arbeitslager bis 1943 abwenden. 1943 beging er, der ständigen Demütigungen müde und angesichts seiner drohenden Verhaftung (der Ortsgruppenleiter der NSDAP von Pullach schien bis dahin seinen Aufenthalt stillschweigend geduldet zu haben) Suizid mit einer Überdosis Schlafmittel. Seine Frau und seine vier Kinder überlebten den Krieg.
Mina-Anina Ahmadi
Quellen: