Er war ein Brückenbauer. Seine Brücken spannen sich zum Beispiel zwischen der theoretischen Physik und der Mathematik, oder zwischen der Welt der Zahlen und der der Geometrie. Hermann Minkowski balancierte elegant zwischen Algebra, Geometrie, Zahlentheorie und Analysis, und er war einer der wichtigsten Lehrer Einsteins, besonders, was die Geometrie der Relativitätstheorie anging: Er unterrichtete den jungen Physiker am Eidgenössischen Polytechnikum Zürich und entwickelte die Idee der nicht-euklidischen Raumzeit. Die Physik zog ihn phasenweise sehr in ihren Bann: "Ich habe mich ganz der Magie, wollte sagen der Physik ergeben", scherzte er einmal in einem Brief an Hilbert. "Ich habe meine praktischen Übungen im physikalischen Institut, zu Hause studiere ich Thomson, Helmholtz und Konsorten; ja von Ende nächster Woche an arbeite ich sogar an einigen Tagen der Woche in blauem Kittel in einem Institut zur Herstellung physikalischer Instrumente, also ein Praktikus schändlichster Sorte." Foto: Fotograf: Emil Logès, zu finden über Wikipedia.

Berühmt ist Minkowski heute aber vor allem für sein wegweisendes Werk "Geometrie der Zahlen". Es sei "eine neue Art Anwendungen der Analysis des Unendlichen auf die Zahlentheorie oder, besser gesagt, knüpft ein Band zwischen diesen zwei Gebieten", beschrieb Minkowski selbst das Werk in seiner Vorrede. "Die Beweise der Sätze offenbaren den intimsten Zusammenhang des hier erörterten Theils der Zahlentheorie mit den Fundamenten der Analysis des Unendlichen."

Die "Geometrie der Zahlen" ist ein gutes Beispiel dafür, wie lebendig die Sprache der Mathematik ist - permanent in Veränderung, im Ringen um Klarheit und bessere Beschreibungen. Minkowski erweist sich dabei als höchst innovativer Sprachschöpfer: Schon im Inhaltsverzeichnis der „Geometrie der Zahlen" stolpert man über Strahlenkörper oder die Oekonomie der kleinsten Strahldistanzen, weiter hinten folgen Zahlengitter, Aichkörper oder nirgends concave Körper - allesamt wichtige Begriffe, die Minkowski prägte, um (unter anderem) konvexe Körper im Allgemeinen und Polyeder im Besonderen zu beschreiben, mit dem Ziel, gewisse Gleichungen in rationalen Zahlen approximativ zu lösen. (Minkowski hatte sich vorher Jahre lang mit der Klassifizierung quadratischer Formen, also homogener Polynome vom Grad 2 in einer oder mehreren Variablen, beschäftigt; Nullstellen solcher Formen untersucht er auch in der „Geometrie der Zahlen".)

Seine Theorie wurde zum Ausgangspunkt der modernen Konvexgeometrie - und damit auch zum Beispiel der Linearen Optimierung. Dreh- und Angelpunkt der „Geometrie der Zahlen" ist nämlich der (heute so genannte) Satz von Minkowski, der besagt, dass wesentliche Informationen über eine kompakte und konvexe Menge im Raum in ihren Extrempunkten steckt: Spannt man eine Art hochdimensionales Gummituch über die Extrempunkte, dann hat man genau die Menge eingeschlossen. In der Arbeit findet sich auch der „Minkowskische Gitterpunktsatz", demzufolge jede symmetrische, konvexe und beschränkte Menge um den Nullpunkt mehr als einen Punkt des Gitters enthält, sobald ihr Volumen größer ist als das 2^d-fache des Volumens einer Grundmasche des Gitters.

Minkowskis „Geometrie der Zahlen" wurde in der „zweiten Lieferung" erst postum von seinem Freund und Studienfreund David Hilbert veröffentlicht, weil ihr Autor schon 1909 mit 44 Jahren starb - an einem Blinddarmdurchbruch. Zuvor hatte er ein arbeitsames Leben: Geboren wurde er am 22. Juni 1864 in Russland (im heutigen Litauen), weil sein Vater dort geschäftlich tätig war, und er bewegte sich im Laufe seines Lebens immer weiter nach Westen. In seiner Heimatstadt Aleksotas (heute: Kaunas) aufgewachsen, kam er mit 8 Jahren nach Königsberg und übersprang am dortigen Altstädtischen Gymnasium mehrere Schulklassen. Er studierte dann auch in Königsberg und Berlin und promovierte 1885 in Königsberg über „Untersuchungen über quadratische Formen Bestimmung der Anzahl verschiedener Formen, welche ein gegebenes Genus enthält" bei Ferdinand von Lindemann (der kurz zuvor mit seinem Beweis der Transzendenz von Pi berühmt worden war). Minkowski lehrte ab 1887 an der Universität Bonn, dann nochmal kurz in Königsberg und schließlich ab 1896 in Zürich. Sechs Jahre später wechselte er auf einen Lehrstuhl in Göttingen, wo er bis zu seinem frühen Tod blieb -- im Zentrum der damaligen mathematischen Welt. Nicht nur Hilbert vermisste ihn dort schmerzlich: „Zumal die kleine Stadt erleichterte unseren Verkehr: ein Telephonanruf zur Vermittlung einer Verabredung oder ein paar Schritte über die Straße und ein Steinchen an die klirrende Scheibe des kleinen Echfensters seiner Arbeitsstube - und er war da, zu jeder mathematischen und nichtmathematischen Unternehmung bereit."

Spektrum-Kalenderblatt von Heinz Klaus Strick zu Minkowski (PDF)

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