Kaum eine mathematische Disziplin hat eine derart rasante Entwicklung vollzogen wie die algebraische Geometrie in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Begründung der kommutativen Algebra durch Noether und Artin und später die Einführung der Schemata als weitreichende Verallgemeinerung der bis dahin betrachteten algebraischen Varietäten durch Grothendieck veränderten die Disziplin innerhalb weniger Jahrzehnte radikal.
Einer der Protagonisten dieser neuen algebraischen Geometrie war Wolfgang Krull, der am 12. April 2021 vor 50 Jahren gestorben ist.
Krull wurde 1899 in Baden-Baden geboren und studierte in Freiburg im Breisgau, Rostock und Göttingen Mathematik, wo er Vorlesungen bei Felix Klein hörte und mit Emmy Noether zusammenarbeitete. Nach seiner Promotion in Freiburg 1922 ging er 1928 für zehn Jahre an die Universität Erlangen. 1939 wurde Krull Nachfolger von Otto Toeplitz in Bonn, der 1935 wegen der nationalsozialistischen Rassengesetze seine Anstellung als Professor an der Universität verlor.
Während des zweiten Weltkrieges ging er an das Marineobservatorium in Greifswald, wo er an mathematischen Fragen zu Hygrometrie, dem Messwesen der Luftfeuchtigkeit arbeitete. Er war seit 1933 Mitglied im NS-Lehrerbund, ob er NSDAP-Mitglied war, ist umstritten.
Nach dem zweiten Weltkrieg kehrte Wolfgang Krull nach Bonn zurück, wo er 1971 starb.
Krull leistete wichtige Beiträge in der Ringtheorie, für die er mit Hilfe der Krull-Dimension und des Krullschen Hauptidealsatzes Konzepte aus der Geometrie und Topologie in der Sprache der kommutativen Algebra übersetzen konnte. Ringe sind dabei Mengen, auf denen Addition, Subtraktion und Multiplikation in sinnvoller Weise definiert sind, beispielsweise bilden die ganzen Zahlen, aber auch Polynome mit rationalen oder reellen Koeffizienten einen Ring. Die moderne algebraische Geometrie ordnet Ringen raumartige Strukturen, genannt Spektren [1], zu, die von Krull intensiv untersucht wurden, und für die Krull einen Dimensionsbegriff erklären konnte.
Die Sichtweise Ringe (oder genauer: Spektren von Ringen) als geometrische Objekte aufzufassen wurde in den Fünfziger- und Sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts durch die Einführung der Schemata durch Grothendieck wesentlich vorangetrieben. Bei Grothendieck ist ein Schema ein (lokal geringter) Raum, der sich lokal, also in der Umgebung eines jeden Punktes, wie ein Spektrum eines Ringes verhält.
[1] Genauer: Das Spektrum eines Ringes \(R\) ist die Menge der Primideale von \(R\) ausgestattet mit der Zariski-Topologie, bei der eine Menge von \(\mathfrak{P}\) Primidealen abgeschlossen ist, wenn es ein Ideal \(I\) gibt, welches in allen Primidealen von \(\mathfrak{P}\) enthalten ist.