Eine neue Arbeit von M.Hedden zu der Frage, ob man mit Quanteninvarianten, speziell dem Jones-Polynom, Knoten effektiv unterscheiden kann.
Knotentheorie beschäftigt sich mit der Frage, ob sich geschlossene Kurven (in unserem 3-dimensionalen Raum) ohne Zerschneiden entknoten lassen, bzw. allgemeiner, wann sich eine geschlossene Kurve stetig in eine andere verformen läßt. (Im Gegensatz zu Knoten in Schnürbändern soll das Band 'geschlossen' sein, d.h. die beiden Enden des Bandes sind verbunden.) Anwendungen der Knotentheorie in der Biologie hatte ich
hier schon einmal kurz erwähnt.
Ein Knoten gilt als unverknotet, wenn er sich ohne Zerschneiden in den unten links dargestellten Kreis verformen läßt. Der rechte Knoten ist offensichtlich unverknotet. (Mathematiker bezeichnen solche Knoten als Unknoten.)
Und bei folgendem Knoten (der sogenannten Kleeblattschlinge), wird jeder sagen, daß er sich nicht ohne Aufschneiden entknoten läßt, auch wenn sicher nicht jeder weiß, wie man das beweisen könnte.
Aber bei folgendem Knoten wird man sicher nicht auf Anhieb erkennen, daß er in Wirklichkeit ein Unknoten ist.
Man hätte gern eine leicht berechenbare Größe, aus der man dann ohne weiteres Experimentieren direkt ablesen kann, ob der Knoten verknotet ist oder nicht.
Motiviert durch Methoden aus der Statistischen Physik betrachtete Vaughan Jones 1983 das sogenannte Jones-Polynom, eine jedem Knoten
K zugeordnete Funktion
PK(x). Man vermutet (aber kann bisher nicht beweisen), daß nur dann P
K(x)=1 ist, wenn der Knoten ein Unknoten ist.
Wie gesagt, war Jones' Konstruktion ürsprünglich motiviert durch statistische Physik und Operatoralgebren. Wenig später fand Louis Kaufmann aber eine elementar-mathematische Konstruktion des selben Jones-Polynoms, die sich auch leicht von Hand oder im Computer berechnen läßt. (Mit dieser kann man also recht schnell entscheiden, ob für einen Knoten P(x)=1 gilt. Wenn obige Vermutung zutrifft, könnte man dann also auch immer entscheiden, ob der Knoten ein Unknoten ist.)
Kaufmann's elementare Konstruktion des Jones-Polynoms P
K geht wie folgt.
Für den Unknoten
O definiert man P
O(x)=1. (Allgemein für n nebeneinandergelegte Unknoten soll P(x)=(-x
1/2-x
-1/2)
n-1 sein.)
Und für alle anderen Knoten soll sich P(x) rekursiv berechnen lassen über die 'Entwirrungsrelation' (skein relation)
x-1PL+(x)-xPL-(x)=(x1/2-x-1/2)PL0(x)
die immer gelte, wenn drei Knoten sich nur an einer Stelle wie abgebildet unterscheiden, und sonst völlig gleich sind. (Für Beispiele siehe die Rechnungen unten.)
Als Beispiel berechnen wir das Jones-Polynom der Kleeblattschlinge:
x-1P() - xP( )=(x1/2-x-1/2)P()
x-1P() - xP( )=(x1/2-x-1/2)P()
In der zweiten Gleichung haben wir rechts einen Unknoten und in der Mitte zwei nebeneinandergelegte Unknoten. Da wir in beiden Fällen das Jones-Polynom kennen, können wir daraus
P()=-x5/2-x1/2 berechnen. In der ersten Gleichung haben wir in der Mitte einen Unknoten und rechts den Knoten aus der 2. Gleichung mit Jones-Polynom -x
5/2-x
1/2. Daraus können wir nun das Jones-Polynom der Kleeblattschlinge berechnen:
P()=-x4+x3+x. (Dies beweist insbesondere, daß die Kleeblattschlinge
kein Unknoten ist.)
Wie man sieht, läßt sich das Jones-Polynom leicht berechnen. Es ist aber nicht bewiesen, ob es tatsächlich
nur für Unknoten 1 ist.
Eine verbesserte Invariante ist die 'Kategorisierung' des Jones-Polynoms (ich hoffe mal, das ist die korrekte Übersetzung von 'categorification'), die in einer 2000 veröffentlichten Arbeit von Khovanov eingeführt wurde. Eine sehr übersichtlich geschriebene Erklärung der Khovanov-Homologie findet man
hier, so daß ich mich hier darauf beschränke, zu erwähnen, daß Khovanov den Knotendiagrammen nicht Polynome, sondern Kettenkomplexe zuordnet, deren Homologie die Khovanov-Homologie ist. Die Konstruktion selbst ist eine direkte Verallgemeinerung der beschriebenen Konstruktion des Jones-Polynoms über Entwirrungsrelationen. (Die Euler-Charakteristik der Khovanov-Homologie ist das Jones-Polynom.)
Auch für diese stärkere (und ebenfalls relativ leicht berechenbare) Invariante ist bisher nicht bewiesen, ob sie den Unknoten von verknoteten Knoten unterscheidet.
Matthew Hedden hat am Freitag eine
Arbeit auf das arXiv gestellt, in der er zeigt, daß die Khovanov-Homologie zumindest indirekt den Unknoten von verknoteten Knoten unterscheiden kann. Er betrachtet statt der Knoten
K selbst ihre 2-Kabel. Das 2-Kabel
K2 eines Knotens
K besteht einfach aus zwei nebeneinandergelegten Kopien des selben Knotens. Zum Beispiel das 2-Kabel des Unknotens ist also
. Und Hedden beweist nun in seiner neuen Arbeit, daß es keinen verknoteten Knoten gibt, für den die Khovanov-Homologie seines 2-Kabels übereinstimmt mit der Khovanov-Homologie des 2-Kabels des Unknotens.
Wen's interessiert, hier noch ein paar Stichworte zu Hedden's Beweis
1:
Für den Unknoten ist die Khovanov-Homologie des 2-Kabels 4-dimensional.
Sei K ein verknoteter Knoten und Σ die verzweigte Überlagerung der S
3, verzweigt über dem 2-Kabel K
2. Nach einem Satz von Ozsvath-Szabo
2 gibt es eine Spektralsequenz, deren E
2-Term die Khovanov-Homologie des Spiegelbilds von K
2, und deren E
infty-Term die Ozsvath-Szabo-Homologie von Σ ist. Insbesondere hat die Khovanov-Homologie von K
2 mindestens die selbe Dimension wie die Ozsvath-Szabo-Homologie von Σ.
Man kann zeigen, daß Σ durch 0-Chirurgie an K#K aus der S
3 entsteht. Wenn K verknotet ist, gibt es im Komplement von K#K inkompressible Flächen. Ozsvath-Szabo hatten gezeigt
3, daß man aus der Existenz inkompressibler Flächen Abschätzungen für die Dimension ihrer Homologie herleiten kann. Insbesondere bekommt Hedden für unseren Fall, daß die Ozsvath-Szabo-Homologie von Σ mindestens 6-dimensional sein muß. Dasselbe gilt dann also auch für die Khovanov-Homologie von K
2, womit diese also nicht mit der Khovanov-Homologie des Unknotens übereinstimmt.
Referenzen:
1 Matthew Hedden: Khovanov homology of the 2-cable detects the unknot,
arXiv:0805.4418v1 [math.GT]
2 Peter Ozsvath, Zoltan Szabo: On the Heegaard Floer homology of branched double-covers,
Adv. Math. 194, 1-33 (2004)
doi:10.1016/j.aim.2004.05.008
3 Peter Ozsvath, Zoltan Szabo (2004). Holomorphic disks and genus bounds Geometry and Topology, 8, 311-334 DOI: 10.2140/gt.2004.8.311