Dass der Mensch sprechen kann, ist ein einzigartiges Resultat der biologischen Evolution. Ein besonderer Kehlkopf, sprechmotorische und sprachverarbeitende Areale im Gehirn und angeborene Verhaltensmuster bezüglich der Kommunikation haben sich entwickelt. – Die artikulierte Sprache einzusetzen, stellt einen hochkomplexen Denkprozess dar, welcher neue Denkprozesse auslöst. Eine bestimmte Äußerung lässt sich nicht auf eine Sequenz von Wörtern respektive Sequenz von Sätzen reduzieren. Oft kommt es darauf an, wie man etwas sagt. Es gibt eine begleitende, in den meisten Fällen unkontrollierte Körpersprache, beispielsweise die Lautstärke, die Tonlage, das Tempo, die Betonungen, die Mimik, die Gestik, die Körperhaltung, das Weinen, das Lachen, die Hautrötungen. Inhalte zwischen den Zeilen werden erahnt. Diese interpretieren wir in den betreffenden Text hinein. – Wenn wir Sprache hören oder Texte lesen, wollen wir die Botschaft der Sätze verstehen, was in manchen Fällen schwierig ist. Dabei bilden sich Vorstellungen, insbesondere Assoziationen mit dem aktuellen Erleben und mit den unterschiedlichsten Gedächtnisinhalten. Unbewusste und emotionale Einflüsse und der Zufall spielen eine gewisse Rolle. Die Vorstellungen können die Interpretation eines Textes (Auslegung, Deutung, Exegese, Hermeneutik, Textverständnis, Unterstellung) unterstützen, aber auch irreleiten bezüglich der Intention. – Wenn wir eine Rede halten oder einen Text schreiben, ist unser sprachliches Ausdrucksvermögen gefordert. Nicht selten ist ein bestimmter Satz inadäquat bezüglich der jeweiligen Intention, weil die Formulierung missglückt ist. Auch Übertragungsfehler sind möglich: Verluste von Textteilen, Hinzufügungen, Versprecher, Schreibfehler, Druckfehler, Lesefehler, Hörfehler, Übersetzungsfehler.
Karl Bühler und Karl Raimund Popper haben die große Bedeutung der höheren Sprachfunktionen bei der artikulierten Sprache erkannt. Beispielsweise machen die deskriptive Sprachfunktion und die argumentative Sprachfunktion Aussagen und Berichte erst möglich. Auf diese bezieht sich die Korrespondenztheorie der Wahrheit. Die nachstehende Definition enthält das betreffende Wahrheitskriterium: „Die Tatsachenbehauptung A ist wahr.“ bedeutet, dass die Aussage A mit den betreffenden Tatsachen übereinstimmt. – Analog wird die Wahrheit eines bestimmten Berichts definiert. Demgemäß bedeutet „Die Tatsachenbehauptung B ist unwahr.“, dass die Aussage B die Wirklichkeit nicht korrekt beschreibt. Die unwahre Tatsachenbehauptung B stimmt entweder teilweise oder überhaupt nicht mit den betreffenden Tatsachen überein. Es kann sein, dass der betreffende Gegenstand nicht existiert beziehungsweise nicht existiert hat. Möglicherweise hat das betreffende Ereignis nicht stattgefunden.
B: Auf dem Rasen der Alianz-Arena in München lag am 23.07.2008 in der Zeit von 10.00 bis 13.00 ein quaderförmiger Granitstein mit einer Masse von 250 kg.
Die Tatsachenbehauptung B könnte unwahr sein, weil die Masse des Granitsteins nicht 250 kg war, sondern ca. 600 kg. Das wäre eine teilweise Nichtübereinstimmung mit der Wirklichkeit.
Die Tatsachenbehauptung B könnte unwahr sein, weil auf dem betreffenden Rasen kein Stein lag weder im betreffenden Zeitraum noch zu einer anderen Zeit. Das wäre eine totale Nichtübereinstimmung der Aussage B mit der Wirklichkeit: Welcher Stein? Es war dort kein Stein.
Die Korrespondenztheorie der Wahrheit setzt voraus, dass die objektiv gegebene Wirklichkeit, die reale Welt, existiert. Doch diese Grundannahme des Realismus ist weder beweisbar noch widerlegbar, auch nicht empirisch prüfbar. Diese philosophische Grundannahme ist dennoch fundamental und ohne brauchbare Alternative. Ohne sie wäre sowohl die naturwissenschaftliche Forschung als auch die historische Forschung sinnlos. – Jeder Körper aus Materie ist ein Prozess, insbesondere ein lebender Organismus. Ständig verändern sich viele Einzelheiten in der realen Welt und immer wieder erhalten wir Informationen durch Wahrnehmungen, Erlebnisse, Berichte und Erklärungsversuche für Veränderungen. Wir selbst gehören als Personen zur realen Welt. Wie wichtig die Grundannahme des Realismus für die Bewältigung des Alltags ist, zeigt sich, wenn beispielsweise eine Demenzkrankheit zu einem Realitätsverlust führt. – Übrigens war die Erde schon da, bevor die biologische Evolution auf unserem Planet das Bewusstsein und die Sinnesorgane auf neuronaler Basis entwickelt hat. Was Bewusstlosigkeit bedeutet, hat jeder erfahren, der schon einmal unter Vollnarkose operiert worden ist.
Das Bewusstsein, das Gegenteil von Bewusstlosigkeit, ist eine der Grundlagen für unsere Fähigkeit, virtuelle Welten zu erschaffen, zum Beispiel: eine Vorstellung von der Zukunft (Vision), eine Erzählung, ein Spielfilm, ein Computerspiel, die Komposition einer Musik, ein deduktives System. Nicht einzelne Elemente einer bestimmten virtuellen Welt sind wirklich, sondern diese als Ganzes. Virtuelle Welten sind Produkte unserer Geistestätigkeit und beeinflussen als Elemente der realen Welt andere Elemente der realen Welt, manchmal sogar die Entwicklung eines bestimmten Subsystems. Eine bestimmte virtuelle Welt darf man aber nicht mit der realen Welt verwechseln. Diese Gefahr besteht, wenn eine bestimmte virtuelle Welt neben den konstruierten Elementen auch reale Elemente besitzt, beispielsweise bestimmte Lebewesen, Dinge, Orte, Zeitpunkte und Ereignisse. – Außerdem erzeugt die Geistestätigkeit eines jeden Menschen ein individuelles, sich veränderndes Weltbild, indem sie die gefilterten und zum Teil fehlerhaften Informationen über die reale Welt zu einem strukturierten Ganzen formt. Diese subjektiven Weltbilder dienen jeweils als Bezugsrahmen für die Verarbeitung der aktuellen Informationen. Dabei wird individuell und situationsbezogen entschieden, was wichtig und was unwichtig ist.
Der Spielfilm „La Strada“ von Federico Fellini, der im Jahr 1954 in die Kinos kam, ist eine virtuelle Welt. Jedes Kunstwerk besitzt viele Bezüge zur realen Welt, beispielsweise der räumliche und zeitliche Rahmen für die Handlung des betreffenden Spielfilms. Die bittere Armut, in der ein Großteil der Bevölkerung Süditaliens um 1950 lebte, ist eine historische Tatsache. Wichtig für Fellinis Spielfilm war bei allen ideellen Perspektiven das Bemühen um Realitätsnähe. Das betreffende Kunstwerk wirkt gewollt oder ungewollt auf die reale Welt zurück: (1) Das Publikum ist betroffen davon, wie die Protagonistin ihr Los in gewissen Grenzen annimmt und sich doch dagegen wehrt (Gelsomina gespielt von Giulietta Masina). (2) Der Spielfilm „La Strada“ stärkt das humanitäre Denken. (3) Das betreffende Meisterwerk setzt noch immer Maßstäbe in der Filmkunst. – Übrigens war das Massenmedium Film, ein Subsystem der realen Welt, die entscheidende Voraussetzung für die Entstehung des betreffenden Spielfilms. Die Filmindustrie war noch im Jahr 1835 undenkbar, als William Fox Talbot das Negativ-Positiv-Verfahren erfunden hatte. Die Technik (Aufnahme, Entwicklung und Schnitt; Vervielfältigung, Projektion), die betrieblichen Kapazitäten, die Filmproduzenten als Kapitalgeber, der Drehbuchautor, der Regisseur, der Kameramann und das übrige Team für die Dreharbeiten, die Schauspielerinnen und die Schauspieler, die fertigen Filmstreifen auf Rollen, der Filmverleih, das Netz der Kinos und nicht zuletzt das Publikum, all das musste erst einmal aufgebaut werden und hat sich weiterentwickelt und tut das heute noch.
Die Mathematik ist die Wissenschaft von den deduktiven Systemen, deren Elemente Definitionen, Axiome und bewiesene universelle Gesetze sind. Zum Beispiel sind die euklidische Geometrie, die Zahlentheorie und die Analysis deduktive Systeme, übrigens auch die Logik. Eine Aussage im Rahmen eines deduktiven Systems wird als „analytische Aussage“ bezeichnet. Demgegenüber sind Tatsachenbehauptungen, also Aussagen über wirkliche Gegenstände in einem bestimmten Raum-Zeit-Gebiet, keine analytischen Aussagen.
Beispiele
A: 7 € – 5 € = 2 €
B: In jedem Dreieck beträgt die Summe der Innenwinkel 180°.
im Rahmen der euklidischen Geometrie.
C: Der Mars gehört zum Planetensystem unserer Sonne.
D: Für jedes Paar von Körpern aus Materie gilt die Formel von Isaac Newton:
Anziehungskraft =
Gravitationskonstante * Masse1 * Masse2: Quadrat der Entfernung der Massenmittelpunkte =
6,670 * 10 -11 * m1 * m2 : r2
Je größer das Produkt der beiden Massen ist und je geringer das Quadrat der Entfernung ist, desto größer ist die Kraft, mit der sich zwei Himmelskörper (Sonne, Planeten, Monde) gegenseitig anziehen. Mit Hilfe der Formel kann man die Anziehungskraft in Newton (N) berechnen. Dabei wird die Masse in Kilogramm (kg) eingesetzt und die Entfernung in Meter (m). Mit Hilfe der Formel kann man auch eine Masse und die Entfernung berechnen, wenn die jeweils anderen Größen bekannt sind.
Die große Genauigkeit der analytischen Aussagen verleitet dazu, für alle Aussagen absolute Präzision zu fordern, insbesondere im Zusammenhang mit Maßgrößen. Aber es bringt das logische Denken nicht weiter, wenn man die Aussage „Der betreffende Stein hat eine Masse von 250 kg.“ als unwahr verwirft, weil eine präzisere Messung mit 250,08 kg vorliegt. Für den Transport ist die Differenz unerheblich. Andererseits gibt es Fälle, in denen wesentlich präzisere Massenbestimmungen erforderlich sind, beispielsweise beim Nachweis eines seltenen Isotops. Absolute Präzision bei Maßgrößen ist nicht machbar. Zu jeder Messung gibt es meistens eine präzisere Messung, die messtechnisch sehr schwierig und außerdem sehr teuer sein kann. Schon beim Gebrauch des Taschenrechners wird klar, dass absolute Präzision in der elektronischen Datenverarbeitung unmöglich ist, wenn es sich um Dezimalzahlen handelt, deren Stellenzahl die vorgegebene Stellenzahl bei den Maschinenzahlen überschreitet, zum Beispiel unendliche Dezimalbrüche, sehr großen Zahlen und Zahlen, welche sehr nahe bei der Null liegen. Das Auf- und Abrunden von Zahlen braucht man schon bei den vier Grundrechenarten.
Eine Tatsachenbehauptung kann sogar wegen absoluter Präzision als unwahr gelten. Zum Beispiel kommen exakte Kreislinien weder in der Natur noch in der Technik vor, zumindest was den Makrokosmus betrifft. So zeigt die Mikrostruktur eines bestimmten Rads bei der Eisenbahn minimale Abweichungen von der Kreislinie, womit man das Phänomen der Reibung erklären kann. Hier handelt es sich nur näherungsweise um eine Kreislinie. Nicht einmal die Bahn des Lichts im Weltall ist absolut gerade, denn starke Gravitationsfelder bewirken eine Ablenkung. – Die Lösung des Problems der Präzision ist die heuristische Regel des Philosophen Karl Raimund Popper: Man soll keine größere Präzision fordern, als für die betreffende Fragestellung nötig ist. – Wenn eine bestimmte Messung für die betreffende Fragestellung zu wenig Präzision aufweist, sagt man nicht, das betreffende Maß sei falsch, sondern das betreffende Messergebnis wird als unbrauchbar angesehen und könnte im Rahmen einer anderen Fragestellung durchaus interessant sein.
Deduktive Systeme enthalten oft Strukturen ohne Entsprechung in der realen Welt. Die Korrespondenztheorie der Wahrheit ist bei analytischen Aussagen erst dann anwendbar, wenn Modelle dieser gedachten Strukturen in der realen Welt entdeckt oder geschaffen worden sind. Die ersten analytischen Aussagen sind vermutlich im Zusammenhang mit den natürlichen Zahlen und den vier Grundrechenarten formuliert worden. Die Wahrheitsfeststellung Die Aussage <„364 + 258 = 622“ ist wahr.> bedeutet, dass das Resultat der betreffenden Addition tatsächlich die Zahl 622 ist. Als Modell könnte man die Vereinigung von zwei Schafherden wählen mit 364 Schafen und 258 Schafen. Durch Abzählen der Schafe kann man die analytische Aussage A verifizieren. Eleganter ist allerdings die arithmetische Methode: Wir verwenden zum Nachrechnen die Additionstabelle für die ganzen Zahlen von null bis neun und eine Additionsregel für positive Dezimalzahlen mit mehr als einer Stelle. Dritte Anwendung der Logik in der Wissenschaft: Manchmal ist die abschließende Klärung einer Frage möglich. In diesem Fall können die Logik und andere Gebiete der Mathematik viel zur Lösung des Problems beitragen.
Bei den Möndchen des Hippokrates vermutet man, dass für die Berechnung der Flächen-summe die Kreiszahl Pi unverzichtbar ist. Dies ist aber nicht der Fall, denn für alle Möndchen des Hippokrates gilt die Formel:
Ein direkter Beweis mit Hilfe von Arithmetik und Algebra der Schulmathematik und durch
Anwendung von vier wahren universellen Gesetzen der euklidischen Geometrie,
außerdem mit Hilfe des Kriterium für die Äquivalenz und
des Satzes vom Kettenschluss:
(1) F1 + F2 = Halbkreis über a + Halbkreis über b – Summe der roten Segmente
(Für alle Möndchen des Hippokrates ist die Prämisse (1) wahr kraft Definition.)
F1 + F2 = 0,5 * (0,5 a)2 * Pi + 0,5 * (0,5 b)2 * Pi – <0,5 * (0,5 e)2 * Pi – 0,5 * a * b>
F1 + F2 = 0,125 * Pi a2 + 0,125 * Pi b2 – 0,125 * Pi e2 + 0,5 * a * b
F1 + F2 = 0,125 * Pi* (a2 + b2 – e2) + 0,5 * a * b
F1 + F2 = 0,125 * Pi * 0 + 0,5 * a * b
F1 + F2 = 0,5 * a * b
Die Korrespondenztheorie der Wahrheit ist im Alltagsverstand verankert. Der Philosoph Immanuel Kant hat die Korrespondenztheorie als selbstverständlich vorausgesetzt. Ihre Tradition reicht zurück bis auf Aristoteles. Doch die Korrespondenztheorie genügt nicht. Die Wahrheit beruht nicht nur auf der korrekten Beschreibung der Tatsachen, sondern auch auf logischen Gründen: die Wahrheit der tautologischen Aussage, die Wahrheit eines Axioms, Wahrheit kraft Definition und Wahrheit aufgrund eines Beweises. Außerdem gibt es Unwahrheit aus einem logischen Grund, nämlich die Unwahrheit der kontradiktorischen Aussage und Unwahrheit wegen einer unwahren Implikation der betreffenden Aussage. – Bei vielen analytischen Aussagen ist das Wahrheitskriterium der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit nicht anwendbar, weil die Modelle noch fehlen. Auch bei einer Tatsachenbehauptung kann die Wahrheitsfrage nicht immer zweifelsfrei geklärt werden, zum Beispiel bei einer bestimmten wahren Theorie im Rahmen der Physik. Solange aber das Kriterium zu keiner Fehlentscheidung führt, ist der Hinweis auf Schwächen des Kriteriums kein relevanter Einwand gegen die Korrespondenztheorie der Wahrheit.
Viele betrachten heute eine der verschiedenen Kohärenztheorien der Wahrheit als brauchbare Alternative zur Korrespondenztheorie. Das Wahrheitskriterium der Kohärenztheorien soll die Vereinbarkeit mit allen von uns bisher akzeptierten Aussagen sein (Freiheit von Widersprüchen, Kohärenz, Konsistenz). Im Fall, dass die Aussage A nicht durch einen Widerspruch zu einer bestimmten bisher akzeptierten Aussage B auffällt, müsste man die Liste aller bisher akzeptierten Aussagen vollständig in Hinblick auf einen Widerspruch zur Aussage A untersuchen. Das wäre aber nicht praktikabel. Selbst wenn man die Vereinbarkeit der Aussage A mit allen bisher akzeptierten Aussagen nachweisen könnte, sagt das nichts aus über den Wahrheitswert von A. Denn eine bestimmte unwahre Aussage kann vereinbar sein mit einer bestimmten wahren Aussage. Ebenso können zwei bestimmte unwahre Aussagen miteinander vereinbar sein. – Im Fall, dass die Aussage A einer von uns akzeptierten Aussage B widerspricht, besteht die Möglichkeit, dass nicht die Aussage A, sondern die Aussage B unwahr ist. Womöglich haben sich in das individuelle Weltbild bereits unwahre Aussagen eingeschlichen. Auch zwei bestimmte unwahre Aussagen können sich widersprechen. Das Wahrheitskriterium der Kohärenz versagt also auf der ganzen Linie. Denn es gilt die heuristische Regel: Weder von der Vereinbarkeit noch von der Widerspruchsbeziehung bei zwei bestimmten Aussagen darf man auf den Wahrheitswert einer der beiden Aussagen schließen.
Außerdem besitzen die Kohärenztheorien der Wahrheit die nachteilige Tendenz, fehlerhafte Systeme zu schützen. Ist ein fehlerhaftes System einmal anerkannt, so wäre jede Aussage, welche einer bestimmten Aussage im Rahmen des betreffenden Systems widerspricht, nach den Kohärenztheorien der Wahrheit unwahr. Auch ein schwerwiegender Einwand respektive ein offensichtlicher Fehler wird nicht ernst genommen, wenn die Bereitschaft zur Überprüfung des betreffenden Systems nicht besteht. Die Modifikation eines bestimmten Systems ist oft sehr aufwendig, manchmal sogar unmöglich, und das betreffende System aufgeben möchte man in den meisten Fällen nicht. Zudem sind die Kohärenztheorien der Wahrheit ein Einfallstor für den Subjektivismus und den Relativismus. Die Idee der Wahrheit wird also in ihrer regulativen Funktion sehr geschwächt. Beispielsweise bedeutet nach der Konsensustheorie der Wahrheit des Philosophen Jürgen Habermas die „Wahrheit einer bestimmten Aussage“ lediglich, dass erstens darüber im Rahmen einer „idealen Sprechsituation“ ein Konsens herbeigeführt worden ist, und dass zweitens die betreffende Aussage von allen „vernünftigen Gesprächspartnern“ anerkannt wird. Die Wahrheit einer Aussage degeneriert so zur Beliebigkeit einer Konvention. In gewisser Weise haben der Subjektivismus und der Relativismus ihre Berechtigung auf dem Gebiet der Interpretation, des Werturteils und der Meinung, aber keinesfalls in Bezug auf die Lehrsätze respektive Theorien einer Wissenschaft.
Manfred Brill