Es ist merkwürdig, dass die Logik und das logische Denken heute so wenig miteinander zu tun haben. In der modernen Literatur über Logik findet man fast immer die formale Logik, welche die echte Implikation (Schlussfolgerung) ziemlich unmotiviert durch die "materiale Implikation" ersetzen möchte. Für die formale Logik sind auch andere Bezeichnungen üblich: Logistik, mathematische Logik, symbolische Logik. Die formale Logik geht auf eine undurchführbare Idee des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz zurück. Leibniz wollte die Schlussfolgerung behandeln wie eine Rechenoperation (Kalkül): Wie die Rechenoperation unabhängig von der Größe der betreffenden Zahlen funktioniert, soll die Schlussfolgerung unabhängig vom logischen Gehalt der betreffenden Aussagen funktionieren. Die formale Logik ist also eine Variante des Mythos von den Schlussregeln. Gottlob Frege hat die formale Logik als System entwickelt. Zwangsläufig handelt es sich um ein fehlerhaftes System. Im Jahr 1910 haben die Philosophen Alfred North Whitehead und Bertrand Russel mit dem Erscheinen des 1. Bands von „Principia Mathematica“ der formalen Logik zum Durchbruch verholfen. Aber für das problemlösende Denken der rationalen Praxis, insbesondere für die Beweise in der Mathematik, ist die formale Logik irrelevant.
Die formale Logik geht aus von Wahrheitstafeln: Eine zweistellige Wahrheitsfunktion ordnet jedem der vier Wahrheitswertepaare genau einen Wahrheitswert zu. Bei den zweistelligen Wahrheitsfunktionen gibt es nur 16 Möglichkeiten. 14 Möglichkeiten entsprechen jeweils einer ganz bestimmten Verknüpfung von zwei Aussagen in Kombination mit der abstrakten Negation. Hat man die Verknüpfung identifiziert, welche der betreffenden Wahrheitsfunktion entspricht (hier die Adjunktion ohne abstrakte Negationen), so sind vier echte Implikationen gegeben:
(2) (A ist wahr. und B ist unwahr.) => (A oder B) ist wahr.
(3) (A ist unwahr. und B ist wahr.) => (A oder B) ist wahr.
(4) (A ist unwahr. und B ist unwahr.) <=> (A oderB) ist unwahr.
Dabei handelt es sich um vier allgemeingültige Feststellungen der echten Implikation. Diese vier Schlussfolgerungen sind nämlich für alle gewöhnlichen Aussagen gültig, egal welchen logischen Gehalt die Aussagen jeweils besitzen. Bei (4) handelt es sich sogar um eine allgemeingültige Feststellung der echten Äquivalenz.
Man kann auch untersuchen, wie die Wahrheitswerte der gewöhnlichen Aussagen A und B den logischen Zusammenhang von A und B beeinflussen. Allerdings wird diese Frage in der formalen Logik weitgehend ausgeblendet. Die Wahrheitswerte der gewöhnlichen Aussagen A und B allein sagen wenig über den logischen Zusammenhang, denn der logische Gehalt von A und derjenige von B sind hier maßgebend. Deshalb entspricht die echte Implikation auch keiner Wahrheitsfunktion. Die entsprechenden Tabellen zeigen nur sieben Fälle, in denen ein bestimmter logischer Zusammenhang unmöglich ist. Das kann man mit fünf allgemeingültigen Schlussfolgerungen beschreiben:
(1) Aus „A und B haben verschiedene Wahrheitswerte.“ folgt „Die echte Äquivalenz (A <=> ist nicht gegeben.“.
(2) Aus (A ist wahr. und B ist unwahr.) folgt „Die echte Implikation (A => B) ist nicht gegeben.“.
(3) Aus „A und B haben denselben Wahrheitswert und sind nicht äquivalent.“ folgt „Die
Feststellung der Kontravalenz (entweder A oder B) ist kontradiktorisch.“. Daraus folgt weiter, dass bei den Aussagen A und B die Kontravalenz nicht gegeben ist.
(4) Aus „A und B sind beide wahr.“ folgt „Die Aussagen A und B sind miteinander
vereinbar.“.
Erster Kardinalfehler der formalen Logik: Schon bei der Definition der materialen Implikation hat man es an der nötigen Sorgfalt fehlen lassen. Es wird fälschlich behauptet, für alle gewöhnlichen Aussagen A und B sei „Die Adjunktion [(nicht A) oder B] ist wahr.“ echt äquivalent mit „(wenn A, dann B) ist wahr.“. – Genauso gut könnte man in der Geometrie das „Rechteck“ als ein Viereck mit gleich langen Diagonalen definieren, wobei diese Art von „Rechteck“ nur ausnahmsweise rechte Winkel aufweisen würde. Korrekt wäre demgegenüber die Definition: Das „Rechteck“ ist ein Parallelogramm mit gleich langen Diagonalen. Denn die Aussage E „Im Viereck ABCD sind alle Innenwinkel rechte Winkel.“ ist echt äquivalent mit der Aussage F „Das Viereck ABCD ist ein Parallelogramm mit gleich langen Diagonalen.“. – Die fehlerhafte Begriffsbildung ist genau der Punkt, an dem die Kritik des Philosophen Clarence Irving Lewis angreift (vergleiche den Artikel von 1912: C. I. Lewis, Implication and the algebra of logic, in der Zeitschrift „Mind“, S. 522 – 531).
A: Die Rose „Lady Hillingdon“ blüht gelb. (wahr)
(nicht A): Die Rose „Lady Hillingdon“ blüht nicht gelb. (unwahr)
B: Jedes Rechteck besitzt einen Umkreis. (wahr)
Aus „Die Adjunktion [(nicht A) oder B] ist wahr.“ folgt nicht „(wenn A, dann B) ist wahr.“. Denn die Aussagen A und B haben keinen inhaltlichen Zusammenhang und sind folglich voneinander unabhängig. Das Kriterium für die echte Äquivalenz ist nicht erfüllt. Also ist „[(nicht A) oder B] ist wahr.“ nicht echt äquivalent mit „(wenn A, dann B) ist wahr.“. Die Bezeichnung „materiale Implikation“ ist irreführend.
Zweiter Kardinalfehler der formalen Logik: Sehr oft übersieht man, dass die Einführung der materialen Implikation zur Definition der materialen Äquivalenz führt: Es wird fälschlich behauptet, für alle gewöhnlichen Aussagen A und B sei „<[(nicht A) oder B)] und [(A oder (nicht B)]> ist wahr.“ echt äquivalent mit „(genau dann B, wenn A) ist wahr.“. – Auch hier kann man an einem Gegenbeispiel zeigen, dass das Kriterium für die echte Äquivalenz nicht erfüllt ist. Die Bezeichnung „materiale Äquivalenz“ ist irreführend.
A: Die Rose „Lady Hillingdon“ blüht gelb. (wahr)
(nicht A): Die Rose „Lady Hillingdon“ blüht nicht gelb. (unwahr)
B: Jedes Rechteck besitzt einen Umkreis. (wahr)
(nicht B):Es gibt ein Rechteck, welches keinen Umkreis besitzt. (unwahr)
Aus „<[(nicht A) oder B)] und (A oder (nicht B)]> ist wahr.“ folgt nicht „(genau dann B, wenn A) ist wahr.“. Denn die Aussagen A und B haben keinen inhaltlichen Zusammenhang und sind folglich voneinander unabhängig. Das Kriterium für die echte Äquivalenz ist also nicht erfüllt. Also ist „<[(nicht A) oder B)] und [(A oder (nicht B)]> ist wahr.“ nicht echt äquivalent mit „(genau dann B, wenn A) ist wahr.“.
Zwar unterscheidet man in der formalen Logik oft zwischen der materialen Implikation und der echten Implikation, aber eine Untersuchung des Unterschieds hält man nicht für nötig. Dritter Kardinalfehler der formalen Logik: Sehr oft wird sowohl für die materiale Implikation als auch für die echte Implikation dasselbe Sonderzeichen verwendet (=>). Derselbe Fehler wird in Bezug auf die materiale Äquivalenz und die echte Äquivalenz gemacht (<=>). Ebenso wird der Wenn-dann-Satz sogar im selben Satz für mehrere Bedeutungen verwendet (siehe unten). Somit ist heute die Literatur über Logik in den meisten Fällen absolut verdorben durch Verwechslung und Verwirrung. – Demgegenüber werden hier die beiden Sonderzeichen ausschließlich für die echte Implikation (die entsprechende Teilmengenbeziehung der beiden logischen Gehalte) beziehungsweise für die echte Äquivalenz (die Gleichheit der beiden logischen Gehalte) verwendet.
Der nachstehende Pseudobeweis für den ungültigen Lehrsatz „Aus der kontradiktorischen Aussage [A und (nicht A)] folgt jede beliebige gewöhnliche Aussage B.“ belastet die formale Logik schwer. Ohne die formale Logik wäre weder der Pseudobeweis noch der ungültige Lehrsatz akzeptiert worden. Für eine Widerlegung des betreffenden Lehrsatzes findet man ohne große Mühe ein Gegenbeispiel. Man muss nur darauf achten, dass die Aussagen A und B keinen inhaltlichen Zusammenhang besitzen.
(1) Aus A folgt (A oder B).
Aus (1) folgt angeblich (2):
Aus (nicht A) folgt [(nicht A) oder B].
(2) ist angeblich echt äquivalent mit (3):
Aus (nicht A) folgt „Die echte Implikation (A => B) ist gegeben.“.
(4) Aus „(A => B) ist gegeben.“ folgt „< [A und (nicht A)] => B > ist gegeben.“
Aus [(3) und (4)] folgt (5):
Aus (nicht A) folgt „< [(A und (nicht A)] => B > ist gegeben.“.
Dieser Pseudobeweis scheint suggestiv zu sein. Er enthält sogar mehrere Fehler, welche einem Logiker auffallen müssten: Erstens ist die Substitution von [(nicht A) oder B] durch „Die echte Implikation (A => B) ist gegeben.“ beim Übergang von (2) auf (3) unzulässig. Denn die Adjunktion [(nicht A) oder B)] und „Die echte Implikation (A => B) ist gegeben.“ sind nicht echt äquivalent. Zweitens sind die Schlussfolgerungen (2) und (3) nicht echt äquivalent, weil die Schlussfolgerung (2) mit einer Einschränkung gültig ist, dagegen die Schlussfolgerung (3) ungültig. Drittens sind die Schlussfolgerungen (3) und (5) ungültig, weil der logische Gehalt der objektsprachlichen Aussage (nicht A) nur objektsprachliche Aussagen enthält, aber keine Schlussfolgerungen (objektsprachliche und metasprachliche Aussagen siehe unten). Viertens hat man das gewünschte Beweisziel nicht erreicht: Man hätte nachweisen müssen, dass die allgemeine echte Implikation < [(A und (nicht A)] => B > gegeben ist. Stattdessen endet der Beweis mit dem Trugschluss (5): Aus (nicht A) folgt „Die echte Implikation < (A und (nicht A)] => B > ist gegeben.” – Übrigens gilt die heuristische Regel: Der Wahrheitsbeweis für einen unwahren respektive ungültigen Lehrsatz muss fehlerhaft sein.
Vierter Kardinalfehler der formalen Logik: Es wird fälschlich behauptet, wenn nur im Fall (A ist wahr. und B ist unwahr.) die echte Implikation (A => B) unmöglich ist, dann sei sie in den anderen drei Fällen (A ist wahr. und B ist wahr.), (A ist unwahr. und B ist wahr.) und (A ist unwahr. und B ist unwahr.) stets gegeben. – Aber es gibt Gegenbeispiele, nämlich Paare wahrer Aussagen, wobei die beiden Aussagen voneinander unabhängig sind (ein konkretes Gegenbeispiel siehe oben). Also handelt es sich hier um einen Trugschluss. Nicht von Ungefähr ist der logische Zusammenhang, insbesondere die Unabhängigkeit von zwei bestimmten Aussagen, in der formalen Logik kein Thema. Die echte Implikation (A => B) ist in den anderen drei Fällen nicht stets gegeben, sondern nur möglich.
Man könnte meinen, dass es bei der Ablehnung der formalen Logik um eine akademische Streitfrage von geringer Bedeutung geht. Doch die formale Logik zerrüttet die Logik total. Die beiden nachstehenden Beispiele zeigen die für die formale Logik typischen Ungereimtheiten. Es ist schon erstaunlich, wenn intelligente Leute, auch Logiker, beispielsweise die absurden Wenn-dann-Sätze der formalen Logik für verzeihlich halten.
(1) „5 ist genau dann eine Primzahl, wenn Stufenwinkel an Parallelen gleich groß sind.“ (Fritz Reinhardt und Heinrich Soeder, dtv-Atlas zur Mathematik, München 1976, 2. Auflage, S. 14) In der formalen Logik ist der (genau dann A, wenn B)-Satz vermeintlich wahr, weil die Aussagen A „Die 5 ist eine Primzahl.“ und B „Stufenwinkel an Parallelen sind gleich groß.“ beide wahr sind (siehe Wahrheitstafel). Nur in der formalen Logik sind alle wahren Aussagen „äquivalent“ (materiale Äquivalenz). Ebenso sind nur in der formalen Logik alle unwahren Aussagen „äquivalent“. Nach Gottlob Freges eigener Auffassung sind alle wahren Aussagen „gleichbedeutend“. „Das Wahre“ würde von uns in den verschiedenen „Propositionen“ (Aussagen) in verschiedener Weise „analysiert“ werden, wobei „das Wahre“ der Name sei für „die gemeinsame Bedeutung“ aller wahren „Propositionen“ (gefunden im Vorwort von Kurt Gödel aus dem Jahr 1964 in der deutschen Ausgabe von 1984: Alfred North Whitehead und Bertrand Russel, Principia Mathematica, S. VIII). Hier wurde offenbar der Logiker Frege zum Mystiker. Entmystifiziert wird sein Satz über „das Wahre“, indem man den analogen Satz über „das Unwahre“ formuliert. Übrigens ist die Zahl 5 eine Primzahl, auch wenn Stufenwinkel an Parallelen nicht gleich groß wären.
(2) „Wenn 5 eine gerade Zahl ist, dann ist die Winkelsumme im ebenen Dreieck gleich 180.“ (Fritz Reinhardt und Heinrich Soeder, dtv-Atlas zur Mathematik, München 1976, 2. Auflage, S. 14) In der formalen Logik ist der (wenn C, dann D)-Satz vermeintlich wahr, weil die Aussage C „Die 5 ist eine gerade Zahl.“ unwahr ist und die Aussage D „Die Winkelsumme im ebenen Dreieck ist gleich 180.“ wahr ist (siehe Wahrheitstafel). Aber dieser Wenn-dann-Satz hat den logischen Status einer absurden Aussage, besitzt also keinen Wahrheitswert. Bei den Aussagen C und D fehlt nämlich der inhaltliche Zusammenhang, ohne den die Feststellung einer Implikation keinen Sinn macht.
Der Logiker Alfred Tarski hat sich mit den beiden nachstehenden universellen Gesetzen G1 und G2 näher befasst (vergleiche Alfred Tarski, Einführung in die mathematische Logik, Göttingen 1966, 2. neu bearbeitete Auflage, S. 44f und S. 56). In der formalen Logik sind diese vermeintlich gültig.
G2: Wenn A unwahr ist, dann ist der (Wenn A, dann B)-Satz wahr.
Korrekterweise muss man G1 respektive G2 auch in der formalen Logik als Schlussfolgerung formulieren, wobei die beiden Wahrheitstafeln für die materiale Implikation angewandt werden. Und das Ergebnis dieser Transformation ist eine logische Banalität, nämlich nur eine Anwendung des Satzes über wahre Adjunktionen, des Satzes über die Negation äquivalenter Aussagen und des Satzes über den indirekten Beweis.
(2): Aus „A ist unwahr.“ folgt „[(nicht A) oder B)] ist wahr.“.
Aber in der klassischen Logik würde G1 bedeuten, dass jede wahre gewöhnliche Aussage A aus jeder beliebigen gewöhnlichen Aussage B folgt. Der Logiker Alfred Tarski hielt diese Interpretation für ungültig. Diese Interpretation wird durch zwei Klassen von Gegenbeispielen widerlegt: erstens zwei beliebige wahre gewöhnliche Aussagen A und B ohne inhaltlichen Zusammenhang und zweitens zwei beliebige wahre gewöhnliche Aussagen A und B mit inhaltlichem Zusammenhang, die aber voneinander unabhängig sind. In der klassischen Logik würde G2 bedeuten, dass aus jeder beliebigen unwahren gewöhnlichen Aussage A jede beliebige gewöhnliche Aussage B folgt. Also hätte jede unwahre gewöhnliche Aussage A einen unbegrenzten logischen Gehalt. Auch mit diesem universellen Gesetz hatte Alfred Tarski Probleme. Diese Interpretation wird ebenfalls durch zwei Klassen von Gegenbeispielen widerlegt: erstens zwei beliebige unwahre gewöhnliche Aussagen A und B ohne inhaltlichen Zusammenhang und zweitens zwei beliebige unwahre gewöhnliche Aussagen A und B mit inhaltlichem Zusammenhang, die aber voneinander unabhängig sind. Die betreffende Interpretation widerspricht auch der heuristischen Regel, dass der logische Gehalt einer bestimmten Aussage unabhängig ist vom jeweiligen Wahrheitswert.
Alfred Tarski hat versucht die formale Logik zu retten, indem er behauptete, die materiale Implikation wäre nur „ein wahrer Konditionalsatz“ und keine Schlussfolgerung. Dass es sich bei der materialen Implikation um keine Schlussfolgerung handelt, ist zutreffend. Nicht akzeptabel ist aber die Formulierung „ein wahrer Konditionalsatz“, weil „Die Adjunktion [(nicht A) oder B] ist wahr.“ nicht echt äquivalent ist mit der Feststellung der echten Implikation „(Wenn A, dann B) ist wahr.“. Tarski empfahl wegen der Probleme bei den universellen Gesetzen G1 und G2, auf die Sprechweise „Aus der Aussage A folgt die Aussage B.“ generell zu verzichten, also auf Schlussfolgerungen überhaupt. Jedoch wird hier die Sache auf den Kopf gestellt. Statt die Probleme dem fehlerhaften System anzulasten, nämlich der formalen Logik, wird die klassische Logik aufgegeben, wenn auch halbherzig. Tarskis Rettungsversuch ist in sich widersprüchlich. Denn die formale Logik kommt als deduktives System ohne Schlussfolgerungen nicht aus.
Auch der Logiker Rudolf Carnap hat die klassische Logik vorschnell aufgegeben. Schon in der 1. Auflage seines Hauptwerks von 1928 behauptete er fälschlich, die „alte Logik“ würde zu Widersprüchen führen, welche die „neue Logik“ (formale Logik) vermeiden würde. Er prophezeite eine hervorragende Bedeutung der formalen Logik für die gesamte Philosophie (vergleiche Rudolf Carnap, Der logische Aufbau der Welt, Studienausgabe, Hamburg 1998, S. XIII). Diese Erwartung hat sich nicht einmal in der analytischen Philosophie erfüllt. Vielmehr drängt sich die Frage auf, was man mit den Wenn-dann-Sätzen der formalen Logik anfangen soll. Für den Beweis in der Mathematik ist die formale Logik nicht nur nutzlos, sondern sie führt auch zu Pseudobeweisen (ein Beispiel siehe oben). Dennoch hat man die formale Logik weltweit an den Universitäten etablieren können. Sie gehört heute zum wissenschaftlichen Kanon der Mathematik und der Philosophie. Argumente gegen die formale Logik werden nur selten vorgebracht und wenn doch, meistens nicht ernst genommen. Ein fehlerhaftes System wird man nicht so leicht wieder los. Die formale Logik besitzt eine rätselhafte Attraktivität, welche nur psychologisch erklärt werden kann.
Fünfter Kardinalfehler der formalen Logik: Es wird fälschlich behauptet, jeder (Wenn A, dann B)-Satz würde einen Wahrheitswert besitzen, sofern die beiden Aussagen A und B selbst einen Wahrheitswert besitzen (vergleiche die beiden Wahrheitstafeln für die materiale Implikation). – Dieses universelle Gesetz der formalen Logik wird widerlegt von den bereits erwähnten absurden (Wenn A, dann B)-Sätzen, wobei die Aussagen A und B keinen inhaltlichen Zusammenhang aufweisen. Denn die absurde Aussage besitzt keinen Wahrheitswert. Außerdem gibt es Wenn-dann-Sätze, die als Versprechungen (auch Drohungen) und als Spielregeln (normative Aussagen) keinesfalls einen Wahrheitswert haben.
(1) Es werden Bedingungen für ein Handeln in der Zukunft genannt, beispielsweise „Wenn du dieses tun wirst, dann werde ich am Tag darauf jenes tun.“. Wie eine Person in der Zukunft handeln wird, ist offen. Offen ist übrigens auch, ob die betreffende Person zu dem betreffenden Zeitpunkt noch leben wird. Ein solches Versprechen besitzt keinen Wahrheitswert und beschreibt auch keine echte Implikation.
(2) Es werden Bedingungen in Bezug auf einen Anspruch respektive Pflicht festgelegt. Die Aussage „Wenn das Jahreseinkommen die Freigrenze von 10000 € übersteigt, dann muss die betreffende Person für das betreffende Kalenderjahr Einkommensteuer zahlen.“ ist eine rechtlich relevante Spielregel. Spielregeln besitzen keinen Wahrheitswert, denn für ihre Ausgestaltung gibt es fast immer verschiedene Möglichkeiten. Es ist eine Frage der Übereinkunft in einem bestimmten Personenkreis beziehungsweise die subjektive Entscheidung einer bestimmten Person, welche Spielregel letztendlich gilt. Setzt man voraus, dass die oben genannte Spielregel befolgt wird, so ist im konkreten Steuerfall eine entsprechende Schlussfolgerung gültig.
(3) [(Der Satz „Wenn das Viereck ABCD ein Rechteck ist, dann sind die Diagonalen gleich lang.“ ist wahr.] ist echt äquivalent mit der Schlussfolgerung [Aus „Das Viereck ABCD ist ein Rechteck.“ folgt „Im Viereck ABCD sind die Diagonalen gleich lang.“.]. Das bedeutet, dass die entsprechende echte allgemeine Implikation gegeben ist.
Bei einem Wenn-dann-Satz gibt es Probleme mit der abstrakten Negation. Denn diese kann nicht als Wenn-dann-Satz formuliert werden. Demgegenüber ist die abstrakte Negation der Schlussfolgerung „Aus A folgt die Aussage B.“ ein klarer Fall, nämlich „Aus A folgt nicht die Aussage B.“. Es war wohl keine gute Idee, die Logik mit Hilfe von Wenn-dann-Sätzen darzustellen. Das war vermutlich einer der Gründe für ihre Schwäche, als es im Jahr 1910 darum ging, die formale Logik als fehlerhaftes System zu entlarven. Man kam nicht einmal auf den naheliegenden Gedanken, ein Sonderzeichen für die Nicht-Implikation einzuführen (=/=>). Sinnvoll wäre auch die Einführung eines Sonderzeichens für die Nicht-Äquivalenz gewesen (<=/=>). Denn es gilt die heuristische Regel: Ist eine bestimmte Eigenschaft einer Sache relevant für eine Problemlösung, so ist auch das Fehlen der betreffenden Eigenschaft relevant.
A: Das Viereck CDEF ist ein Rechteck.
B: Im Viereck CDEF sind die Diagonalen gleich lang.
weil B aus A folgt.
(nicht B): Im Viereck CDEF sind die Diagonalen nicht gleich lang.
Die Schlussfolgerung (1) („Wenn A, dann B“ ist wahr.) ist echt äquivalent
mit „Aus A folgt die Aussage B.“.
Die echte Implikation (A => B) ist gegeben.
Denn jedes Rechteck besitzt gleich lange Diagonalen.
Die Schlussfolgerung (2) [„Wenn A, dann (nicht B)“ ist wahr.] ist
eine konkrete Negation der Schussfolgerung (1).
Denn A ist als gewöhnliche Aussage widerspruchsfrei.
Die Schlussfolgerung (2) ist echt äquivalent mit „Aus A folgt die Aussage (nicht B).“.
Die Feststellung der echten Implikation [(A => (nicht B) ist ungültig.
Die abstrakte Negation der Schlussfolgerung (1) ist
(3) („Wenn A, dann B“ ist unwahr.).
Die Feststellung (3) ist echt äquivalent mit „Aus A folgt nicht die Aussage B.“.
Die Feststellung der Nicht-Implikation (A ==> B) ist ungültig.
In seinen Ausführungen zur Korrespondenztheorie der Wahrheit hat Alfred Tarski auf die Unterscheidung von Sprachebenen aufmerksam gemacht (vergleiche: Alfred Tarski, The Semantic Conception of Truth and the Foundations of Semantics, Philosophy and Phenomenological Research 4, 1944, S. 341 – 376). Die „objektsprachliche Ebene“ enthält Aussagen über Objekte der physischen Welt und der Welt der bewussten Erlebnisse und über Objekte der virtuellen Welten, aber keine Aussagen über Aussagen. Demgegenüber ist die „metasprachliche Ebene“ gekennzeichnet durch Aussagen über eine einzelne Aussage der objektsprachlichen Ebene respektive über mehrere solcher Aussagen: Feststellungen einer bestimmten Art der echten Implikation (Schlussfolgerungen), Feststellungen der echten Äquivalenz, Feststellungen eines inhaltlichen Zusammenhangs, Feststellungen der Unabhängigkeit, Feststellungen einer bestimmten Art von Widerspruchsbeziehung, Aussagen über den logischen Status einer bestimmten Aussage (insbesondere Wahrheitsfeststellungen), Aussagen über den logischen Gehalt einer bestimmten Aussage, Werturteile über Aussagen, Definitionen von Aussagetypen. Die Logik hat viel mit Sprache zu tun und es ist keineswegs erstaunlich, dass die meisten Aussagen im Rahmen der Logik metasprachlich sind, auch einige Lehrsätze der Logik. Die Logik könnte ein Gegenstand der Linguistik und der Informatik sein. Die artikulierte Sprache dient nicht nur der Kommunikation, sondern auch dem Ziel, unsere kognitiven Fähigkeiten voll zu entwickeln. Wichtige Erfindungen auf diesem Weg waren die Arithmetik, die Schriftkultur, die Universität, der Buchdruck, die Schulpflicht und das Internet.
Es bringt mehr Klarheit, wenn man in Bezug auf Aussagen der objektsprachlichen Ebene die Wörter „wahr“ und „unwahr“ verwendet, jedoch in Bezug auf Aussagen der metasprachlichen Ebene die Wörter „gültig“ und „ungültig“. Sehr gut demonstriert der Satz zum modus tollens, dass die Ungültigkeit einer Schlussfolgerung etwas ganz anderes ist wie die Unwahrheit der Konklusion (siehe unten). Die Feststellung < Die Schlussfolgerung „Aus A folgt B.“ ist gültig.“ > ist eine Aussage auf einer dritten Sprachebene. Denn es handelt sich hier um eine Aussage über eine bestimmte metasprachliche Aussage. Als Wahrheitswerte könnte man die Wörter „zutreffend“ und „nicht zutreffend“ verwenden. Auf diese Weise kann man die Zahl der Sprachebenen beliebig vergrößern. Die meisten Lehrsätze der Logik sind Aussagen auf der dritten Sprachebene. Soweit man die Lehrsätze der Logik auf objektsprachliche Aussagen anwendet, reichen in der Logik drei Sprachebenen aus. Die Lehrsätze der Logik sind anwendbar unabhängig davon, auf welcher Sprachebene die betreffenden Aussagen jeweils formuliert worden sind. Denn welche Sprachebene jeweils vorliegt, ergibt sich allein aus dem logischen Gehalt der betreffenden Aussage.
Sechster Kardinalfehler der formalen Logik: Es wird fälschlich behauptet, die Aussage (nicht A) sei echt äquivalent mit der Feststellung „A ist unwahr.“. – Die betreffende Äquivalenz kann nicht bestehen, weil aus der Aussage (nicht A) die Aussage „A ist unwahr.“ nicht folgt. Wie bei der gewöhnlichen Aussage A können auch bei der Aussage (nicht A) zwei Wahrheitswerte auftreten.
1. Fall: „(nicht A) ist wahr.“ ist äquivalent mit „A ist unwahr.“.
2. Fall: „(nicht A) ist unwahr.“ ist äquivalent mit „A ist wahr.“.
Ist A eine Aussage auf der objektsprachlichen Ebene, so gilt das auch für (nicht A). Aber die Aussage „A ist unwahr.“ wäre hier metasprachlich. Also sind die Aussage (nicht A) und „A ist unwahr.“ nicht äquivalent. Solche Ungenauigkeiten führen zu logischen Fehlern, ebenso wenn man für die metasprachliche Aussage „A ist wahr.“ nur „A“ notiert.
„[(A => B) und (nicht B)] => (nicht A)“ ist angeblich der Satz zum modus tollens (siehe Fritz Reinhardt und Heinrich Soeder, dtv-Atlas zur Mathematik, München 1976, 2. Auflage, S. 16). Korrekt ist dagegen die Formulierung: Aus [(A => B) ist gegeben. und B ist unwahr.] folgt „ A ist unwahr.“.
Manfred Brill
Kommentare
Mein Kommentar bezieht sich auf den Abschnitt „Erster Kardinalfehler der formalen Logik“.
Die dort definierten Konstanten A und B sind wahre Ausdrücke, für die (gemäß formaler Logik) mit ¬A ODER B auch A=>B ein wahrer Ausdruck ist. Dabei darf A=>B nicht so interpretiert werden, als ob dadurch schon eine Ableitung von B möglich wäre. Dazu bedarf es einer Ableitungsregel. Für den vorliegenden Fall wäre das die Abtrennungsregel (modus ponens). Deren zwei Prämissen wären hier A und A=>B. Die Wahrheit beider Prämissen ermöglicht die Anwendung dieser Regel. Ergebnis ist ein wahrer Ausdruck, hier B.
(Aus einer Menge wahrer Ausdrücke kann jeder dieser Ausdrücke abgeleitet werden.)
Siehe hierzu auch meinen Artikel:
researchgate.net/publication/353038848_Logik_und_M athematik_als_definitorische_Erweiterung_einer_Min imal-Logik