Möglicherweise denken wir beim Stichwort „Beweis“ zunächst an den Nachweis der Wahrheit für einen bestimmten Lehrsatz der Mathematik. Dies aber wäre eine verengte Sichtweise. Es gibt nämlich sieben weitere Beweisziele: der Nachweis für die Unwahrheit einer Aussage, für eine bestimmte Art von Implikation bei zwei Aussagen, für eine bestimmte Art der Nicht-Implikation, für die Äquivalenz zweier Aussagen, für die Nicht-Äquivalenz, für die Vereinbarkeit zweier Aussagen und für eine Widerspruchsbeziehung. Bei den meisten Nachweismethoden spielt die Implikation eine Schlüsselrolle. Hier muss man streng unterscheiden zwischen der Schlussfolgerung „Die Implikation (A => B) ist gegeben.“ und dem logischen Zusammenhang der einseitigen Implikation [Die Implikation (A => B) ist gegeben. und Die Nicht-Implikation (B =/=> A) ist gegeben.].


Nach dem Kriterium für die Äquivalenz folgt aus „Die Äquivalenz (A <=> B) ist gegeben.“ die Feststellung „Die Implikation (A => B) ist gegeben.“, wobei A und B beliebige gehaltvolle Aussagen sind. Unter der Voraussetzung, dass die Aussage A widerspruchsfrei ist, gibt es bei den Beweiszielen vier allgemeingültige Kettenschluss-Strukturen:

(1) (A <=> B) ist gegeben. => (A => B) ist gegeben. => Die Aussagen A und B sind miteinander vereinbar.
(2) (A und B) ist wahr. <=> (A ist wahr. und B ist wahr.) => Die Aussagen A und B sind
miteinander vereinbar.

Nach dem Kontrapositionssatz sind die Kettenschluss-Strukturen (3) und (4) allgemeingültig, wobei auch hier die Aussagen A und B widerspruchsfrei sind.

(3) Die Aussagen A und B widersprechen sich. => (A =/=> B) ist gegeben. => (A <=/=> B) ist gegeben.
(4) Die Aussagen A und B widersprechen sich. => (A ist unwahr. oderB ist unwahr.) <=> (A undB) ist unwahr.


Der nachstehende Katalog von Nachweismethoden ist die Basis für die Beweislehre. Diese Nachweismethoden sind anwendbar in allen deduktiven Systemen. Alle Lehrsätze (universelle Gesetze) der Mathematik sollten bewiesen werden, was aber in seltenen Fällen nicht gelingt, zum Beispiel beim Vier-Farben-Satz und bei den beiden Versionen der Goldbachschen Vermutung. Die Axiome in der Mathematik sind ebenfalls nicht beweisbar, aber wenigstens evident. Die Axiome eines deduktiven Systems sollte man nicht als erstes konstruieren und dann mit dem Beweisen beginnen. Vielmehr werden die Axiome bei der vollständigen Beweisarbeit in Bezug auf die Liste der betreffenden Lehrsätze als nicht beweisbarer Rest herausgefiltert. Wenn man meint, man habe ein Axiom bewiesen, so muss man nachprüfen, ob nicht eine zirkuläre Beweisführung vorliegt. Diese muss nicht fehlerhaft sein, besitzt aber keine Beweiskraft. Zur Erleichterung der Nachprüfung empfiehlt es sich, die Elemente eines deduktiven Systems, also die Definitionen, Axiome und bewiesenen universellen Gesetze durchzunummerieren und bei jedem Beweis die jeweiligen Nummern anzugeben, welche zum Beweis beigetragen haben. Selbstverständlich müssen auch die Lehrsätze der Logik bewiesen werden. Das Axiomensystem der Logik besteht aus sechs universellen Gesetzen.

Axiome der Logik

 

(1) Der Satz über wahre Aussagen: „Die gewöhnliche Aussage A ist wahr.“ ist äquivalent mit „Die gewöhnliche Aussage A besitzt ausschließlich wahre Implikationen.“.
(2) Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten: Jede gewöhnliche Aussage ist entweder wahr oder unwahr.
(3) Der Satz über den indirekten Beweis: Die Feststellung „A ist wahr.“ ist äquivalent mit „(nicht A) ist unwahr.“, wobei A eine beliebige gewöhnliche Aussage ist.
(4) Der Satz von der doppelten Verneinung: Die gewöhnliche Aussage A ist äquivalent mit der abstrakten Negation von (nicht A).
(5) Der Satz über wahre Adjunktionen: „Eine bestimmte Adjunktion ist wahr.“ ist äquivalent mit „Mindestens eine der Komponenten (Aussagen) der betreffenden
Adjunktion ist wahr.“.
(6) Der Satz über wahre Konjunktionen: „Eine bestimmte Konjunktion ist wahr.“ ist äquivalent mit „Jede der Komponenten (Aussagen) der betreffenden Konjunktion ist wahr.“.

 

Nachweis der Implikation (A => B)

 

1.1 Entweder mit mehreren Schlussfolgerungen oder mit einer einzigen Schlussfolgerung wird aus A die Aussage B abgeleitet, wobei jede Schlussfolgerung nachvollziehbar sein muss.
1.2 Die Implikation [(nicht B) => (nicht A)] wird nachgewiesen und anschließend wird der Kontrapositionssatz angewandt.
1.3 Die Aussagen A und B sind äquivalent.
1.4 Aus „A ist wahr.“ folgt „B ist wahr.“.
1.5 Die Aussage B ist die abstrakte Negation einer konkreten Negation der Aussage A. Die Nachweismethoden für die Widerspruchsbeziehung sind relevant.
1.6 Sonderfall: Ein universelles Gesetz (allgemeine Implikation) wird direkt bewiesen.
1.7 Sonderfall: Ein universelles Gesetz (allgemeine Implikation) wird indirekt bewiesen.
1.8 Sonderfall: Die Aussage A hat den logischen Status einer Konjunktion. Und die
Aussage B ist eine Komponente dieser Konjunktion.
1.9 Sonderfall: Die Aussage A hat den logischen Status einer Adjunktion. Und die
Aussage B ist eine gemeinsame Implikation aller Komponenten dieser Adjunktion.
1.10 Sonderfall: Die Aussage A ist ein Allsatz und die Aussage B unterscheidet sich von A nur dadurch, dass sich die Aussage B auf ein Teilgebiet respektive Teilmenge bezieht.
1.11 Sonderfall: Die Aussage A ist ein Allsatz und die Aussage B unterscheidet sich von A nur dadurch, dass eine zusätzliche Eigenschaft vorgeschrieben wird.
1.12 Sonderfall: Die Aussage A ist ein Existenzsatz und die Aussage B unterscheidet sich von A nur dadurch, dass sich die Aussage B auf ein umfassendes Gebiet respektive umfassende Menge bezieht.
1.13 Sonderfall: Die Aussage A ist ein Existenzsatz und die Aussage B unterscheidet sich von A nur dadurch, dass in der Aussage B eine Eigenschaft weniger vorgeschrieben wird.

 

Nachweis der Nicht-Implikation (A =/=> B)

 

2.1 Der logische Gehalt von B ist größer als der von A.
2.2 B folgt die gewöhnliche Aussage C, aber nicht aus A. Die Nachweismethoden für die Implikation sind relevant.
2.3 Die Aussagen A und B haben keinen inhaltlichen Zusammenhang.
2.4 A und B widersprechen sich, wobei A eine widerspruchsfreie Aussage ist. Die
Nachweismethoden für die Widerspruchsbeziehung sind relevant.
2.5 Die Aussage A ist wahr. und Die Aussage B ist unwahr. Die Nachweismethoden für die
Wahrheit und für die Unwahrheit sind relevant.
2.6 Die Implikation [(nicht B) => (nicht A)] wird widerlegt und anschließend wird der
Kontrapositionssatz angewandt.
2.7 Aus „A ist wahr.“ folgt nicht „B ist wahr.“.
2.8 A ist eine objektsprachliche Aussage und B eine metasprachliche Aussage.
2.9 Sonderfall (eine allgemeine Implikation, welche nicht gegeben ist): Ein unwahres
universelles Gesetz wird mit Hilfe eines Gegenbeispiels widerlegt.

 

Nachweis der Äquivalenz (A <=> B)

 

3.1 Das Kriterium für die Äquivalenz ist erfüllt: Aus A folgt die Aussage B und aus B folgt die Aussage A. Die Nachweismethoden für die Implikation sind relevant.
3.2 Wir nützen die Transitivitätseigenschaft der Äquivalenz aus: Aus [(A <=> C) ist gegeben. und (C <=> B) ist gegeben.] folgt „(A <=> B) ist gegeben.“.
3.3 Die Aussagen A und B sind Komponenten bei einem Zirkelschluss. Die Nachweismethoden für die Implikation sind relevant.
3.4 Die abstrakte Negation der Aussage A ist äquivalent mit (nicht B).

 

Nachweis der Nicht-Äquivalenz (A <=/=> B)

 

4.1 Das Kriterium für die Äquivalenz ist nicht erfüllt: Aus A folgt nicht die Aussage B. oder Aus B folgt nicht die Aussage A. Die Nachweismethoden für die Nicht-Implikation sind relevant.
4.2 Die Wahrheitswerte der Aussagen A und B sind verschieden. Die Nachweismethoden
für die Wahrheit und für die Unwahrheit sind relevant.
4.3 Die Aussagen A und B widersprechen sich, wobei die Aussage A oder die Aussage B
widerspruchsfrei ist. Die Nachweismethoden für die Widerspruchsbeziehung sind relevant.
4.4 Die Aussagen A und B haben keinen inhaltlichen Zusammenhang.
4.5 Die abstrakte Negation der Aussage A ist nicht äquivalent mit (nicht B).

 

Nachweis für die Wahrheit der Aussage B

 

5.1 direkter Beweis: Aus der wahren Aussage A wird die Aussage B abgeleitet. Die Nachweismethoden für die Implikation sind relevant.
5.2 indirekter Beweis: Die Aussage (nicht B) wird widerlegt. Die Nachweismethoden für die Unwahrheit sind relevant.
5.3 Die Aussage B ist äquivalent mit der wahren Aussage A. Die Nachweismethoden für die Äquivalenz sind relevant.
5.4 Sonderfall: Die Tatsachenbehauptung B stimmt mit den betreffenden Tatsachen
überein.
5.5 Sonderfall: Erstens ist die Aussage B ist eine Komponente einer Adjunktion, welche nachweislich wahr ist, beziehungsweise eine Komponente bei der Feststellung einer Kontravalenz. Zweitens werden bei der Ausschluss-Methode alle Komponenten bis auf die Aussage B überprüft. Sind alle anderen Komponenten nachweislich unwahr, so ist die Komponente B wahr. Die Nachweismethoden für die Unwahrheit sind relevant.
5.6 Sonderfall: Die Aussage B behauptet die Gleichheit beziehungsweise Ungleichheit von zwei Zahlen (Terme). Der Nachweis der Wahrheit erfolgt, indem man nachrechnet
beziehungsweise algebraische Umformungen durchführt.
5.7 Sonderfall: Die Aussage B ist ein universeller Existenzsatz respektive lokaler
Existenzsatz. B wird durch einen einzigen positiven Fall verifiziert.
5.8 Sonderfall: Die Aussage B ist ein lokaler Allsatz respektive lokaler Existenzsatz. Die Wahrheit von B kann bewiesen werden durch eine vollständige Überprüfung der betreffenden Fälle.

 

Nachweis für die Unwahrheit der Aussage A

 

6.1 Aus der Aussage A folgt die unwahre Aussage B. Die Nachweismethoden für die
Implikation sind relevant.
6.2 Die Aussage (nicht A) ist wahr. Die Nachweismethoden für die Wahrheit sind relevant.
6.3 Die Aussage B ist wahr und die Aussagen A und B widersprechen sich. Die
Nachweismethoden für die Wahrheit und für die Widerspruchsbeziehung sind relevant.
6.4 Sonderfall: Die Aussage A ist ein unwahres universelles Gesetz respektive ein unwahrer lokaler Allsatz und wird mit einem Gegenbeispiel widerlegt.
6.5 Sonderfall: Die Aussage A ist ein lokaler Existenzsatz beziehungsweise ein lokaler Allsatz. A kann widerlegt werden durch eine vollständige Überprüfung der betreffenden Fälle.
6.6 Sonderfall: Die Aussage A behauptet die Gleichheit beziehungsweise Ungleichheit von zwei Zahlen (Terme). A kann widerlegt werden, indem man nachrechnet beziehungsweise algebraische Umformungen durchführt.
6.7 Sonderfall: Die Aussage A ist eine Komponente bei der Feststellung einer Kontravalenz. Wird die Wahrheit einer anderen Komponente nachgewiesen, so ist A unwahr. Die Nachweismethoden für die Wahrheit sind relevant.
6.8 Sonderfall: Die Aussage A ist kontradiktorisch. Mindestens zwei Implikationen von A widersprechen sich. Die Nachweismethoden für die Implikation und für die
Widerspruchsbeziehung sind relevant.

 

Nachweis der Vereinbarkeit von A und B

 

7.1 Die Aussagen A und B sind beide wahr. Die Nachweismethoden für die Wahrheit sind relevant.
7.2 Bei den Aussagen A und B fehlt der inhaltliche Zusammenhang.
7.3 Die Aussage B ist eine Implikation von A, wobei A eine widerspruchsfreie Aussage
ist. Die Nachweismethoden für die Implikation sind relevant.
7.4 Die Aussage A ist eine Implikation von B, wobei B eine widerspruchsfreie Aussage
ist. Die Nachweismethoden für die Implikation sind relevant.
7.5 C ist eine widerspruchsfreie Aussage und die beiden Aussagen A und B sind
Implikationen von C. Die Nachweismethoden für die Implikation sind relevant.
7.6 Das Kriterium für die Widerspruchsbeziehung ist nicht erfüllt: Es gibt keine gewöhnliche Aussage C, so dass gilt: Aus A folgt die Aussage C. und Aus B folgt (nicht C).

 

Nachweis der Widerspruchsbeziehung bei den Aussagen A und B

 

8.1 Das Kriterium für die Widerspruchsbeziehung ist erfüllt: Aus A folgt die gewöhnliche Aussage C. und Aus B folgt (nicht C). Die Nachweismethoden für die Implikation sind relevant.
8.2 Die Aussage B ist äquivalent mit (nicht A)
8.3 Die Aussage A ist äquivalent mit (nicht B)
8.4 Die Aussage B ist eine konkrete Negation von A.
8.5 Die Aussage A ist eine konkrete Negation von B.
 
Manfred Brill

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