Unser Alltag ist heutzutage in vielerlei Hinsicht von Algorithmen geprägt: Wie kommt man am schnellsten mit dem Auto von Berlin nach Hamburg? Wie erhält man beim Onlinebanking eine neue PIN, ohne dass Dritte Einsicht erhalten? Wie kann Google wichtige von unwichtigen Suchergebnissen unterscheiden? Und wie werden die Suchergebnisse überhaupt der Wichtigkeit nach sortiert? Für die Beantwortung dieser Fragen benutzen Computer Algorithmen, also detaillierte Handlungs- und Rechenanweisungen, die eine Eingabe in eine gewünschte Ausgabe umwandeln.

Für viele Menschen sind Algorithmen allerdings nur ein Bündel aus kryptischen Computerbefehlen, Zahlen und Formeln. Dass dem nicht so sein muss, sondern dass Algorithmen oft sehr anschauliche und bildhafte Verfahren sein können, zeigen Sebastian Morr, Sandor Fekete und Sebastian Stiller von der TU Braunschweig mit ihrem Projekt IDEA. Bei IDEA handelt es sich um Algorithmen in Form von Ikea-Bauanleitungen. Name und Stil der IDEA-Bauanleitungen orientieren sich dabei an Bauanleitungen des bekannten Möbelhauses, mitsamt schwedisch anmutenden Namen (Kwicksört statt Quicksort oder Gråph Scän statt Graph Scan) und des leicht überforderten, aber stets motivierten Ikea-Männchens. Aber handelt es sich bei IDEA um mehr als nur einen netten Insider-Witz? Wir haben Sandor Fekete, einen der Initiatoren des Projektes, gefragt.

DMV: Herr Fekete, wie sind sie auf die Idee gekommen?

Fekete: Einer meiner Studenten, Sebastian Morr, hat seine Masterarbeit zu dem Thema der kritischen Packungsdichte von Kreisen in einem Quadrat geschrieben. Im Rahmen dieser Arbeit hat Sebastian einen Algorithmus entwickelt, der dieses Problem löst, und diesen Algorithmus im Stil von Ikea-Bauanleitungen bildlich dargestellt. Der nächste Schritt ergab sich aus meiner Lehre, in der ich jährlich eine Erstsemestervorlesung über Algorithmen halte, in der auch schon einmal kreative Elemente wie Gesang und Tanz vorkommen. Da bot es sich an, die Idee von Algorithmen im Ikea-Stil aufzugreifen und auszubauen. Ein weiterer beteiligter Kollege ist inzwischen auch Sebastian Stiller [Mitglied des Präsidiums der DMV, Anm. des Autors], der einige Medienerfahrung hat.

public keyPublic Key Krüpto
Bildquelle: IDEA

DMV: An wen ist IDEA adressiert?

Fekete: Zu dieser Frage haben wir uns intensiv Gedanken gemacht; IDEA ist an viele Gruppen adressiert. Klar, da gibt es zum einen die vielen Insider, also zum Beispiel Profis aus Informatik und Mathematik, für die ist das natürlich amüsant und nett. Wir denken da aber auch an Studierende und an Schülerinnen und Schüler. Aber, und das ist ein wichtiger Punkt: IDEA richtet sich auch an Menschen, die mit Algorithmen sonst nur wenig zu tun haben. So, wie viele Menschen die Vorstellung haben, Mathematik bestünde nur aus Zahlen und Formeln, ist die Vorstellung, dass Algorithmen nur aus Code oder aus Software bestehen, weit verbreitet. Algorithmen bestehen aber in erster Linie aus Ideen, und darum geht es uns an dieser Stelle: ein Medium zu finden, das dem menschlichen Denken stärker entspricht. Hier scheinen uns Ikea-Bauanleitungen ein gutes Medium zu sein, auch, weil fast jeder Mensch Ikea-Bauanleitungen kennt.

DMV: Gab es bereits Rückmeldungen?

Fekete: Das Projekt hat sich schnell verbreitet, zum Beispiel über Foren wie Reddit. Wir hatten vor einigen Wochen innerhalb weniger Stunden eine viertel Million Aufrufe

DMV: ...International?

Fekete: Ja, weltweit. Inzwischen sind es ein paar Millionen. Es gab sehr viel Feedback: IDEA sei eine coole und witzige Idee. Es wurde auch viel über das Ziel und den Zweck von IDEA diskutiert. Auch die Frage nach Merchandise kam auf.

DMV: ...und? Wird es Merchandising-Aktivitäten geben?

Fekete: Dazu prüfen wir noch einige Randbedingungen. Darüber hinaus geht es uns bei IDEA um die elektronische Sichtbarkeit, um den Einsatz z.B. in der Lehre: Ich setze die IDEA-Bauanleitungen auch in meinen Vorlesungen ein, da habe ich sozusagen ein Testpublikum. Wir haben einen Algorithmus zu einem Problem aus der Graphentheorie auch schon einmal zur Lehre an einer Grundschule eingesetzt, da bekamen wir sehr begeistertes Feedback. Wichtig ist dabei natürlich auch der Einsatz von geeigneten Testinstanzen – bei Möbeln sind die ja automatisch dabei.

euler pathOne Ströke Dråw
Bildquelle: IDEA

DMV: Wie lange dauert es von der Idee bis zur Umsetzung?

Fekete: Das ist unterschiedlich. Es gibt einen gewissen Destillationsprozess. Bei bekannten Algorithmen, die man schon viel in der Lehre präsentiert hat, bringt man natürlich eine gewisse Erfahrung in der Vermittlung mit. Was immer viel Zeit und Diskussionen in Anspruch nimmt, ist das Finden einer geeigneten Mischung aus Präzision und Verständlichkeit. Das sind eine ganze Menge von Designentscheidungen im Laufe der Entwicklung, zum Beispiel die Frage nach der Symbolik für Datenstrukturen oder wie man IF-Abfragen oder Schleifen darstellt. Da wir das Projekt neben unserer eigentlichen Arbeit verfolgen, gibt es einen großen Unterschied zwischen der Netto- und der Bruttoarbeitszeit. Nehmen wir Merge-Sort als Beispiel: Die Nettoarbeitszeit betrug ein paar Tage, brutto dauerte es ein paar Monate

DMV: Können prinzipiell alle Algorithmen so dargestellt werden? Wo liegen die Grenzen?

Fekete: Vom Prinzip her lassen sich alle Algorithmen so darstellen. Natürlich eignen sich Probleme, die sich geometrisch gut darstellen lassen, zum Beispiel solche aus der Graphentheorie, besser als etwa algebraische Probleme, da hier eher Symbole als Figuren im Vordergrund stehen. Auch in anderer Richtung gibt es Herausforderungen, z.B. die Darstellung von komplexeren Algorithmen, wie zum Beispiel den Blossom-Algorithmus für nicht-bipartites Matching. In der Zukunft wollen wir uns auch noch bewusst mit der Schulmathematik beschäftigen: Einen großen Teil des Schulunterrichts kann man ja auch dadurch beschreiben, dass Algorithmen in Schülerhirnen implementiert werden. Deswegen haben wir vor, demnächst auch Algorithmen aufzunehmen, die aus dem Schulunterricht bekannt sind, zum Beispiel das Lösen von Gleichungen oder die Grundrechenarten.

DMV: Ist es schwierig ohne Formeln und Codes auszukommen?

Fekete: Das ist die große Herausforderung. Und es ist natürlich auch schwierig, ohne Text auszukommen. Das verlangt einfach, dass man zum einen die Struktur eines Algorithmus auf das wesentliche destilliert, aber auch, dass man das aktive Denken des Lesers mobilisiert. Und gerade letzteres ist natürlich auch der Punkt, wo wir die Brücke zur Lehre sehen.

quick sortKwick Sört
Bildquelle: IDEA

DMV: Wie steht es um die Zukunft des Projektes?

Fekete: Wir haben noch einiges vor, es sind natürlich noch verschiedenste weitere Algorithmen in Planung. Aktuell arbeiten wir an einer Variante mit Hovertexten. Mittelfristig denken wir auch an solche Sachen wie ein Buch; wir haben die ersten Interessenbekundungen von Verlagen.

DMV: Vielen Dank für das Gespräch.

Fekete: Gerne.

Links:

Homepage von IDEA

Homepage von Sebastian Morr

 

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