Der Kleistpreis geht dieses Jahr an den Schriftsteller Max Goldt.

In der Begründung wurde Goldt's "Witz, Scharfsinn und ästhetisches Urteilsvermögen" mit dem von Karl Kraus verglichen, ein Vergleich, über den man sicher geteilter Meinung sein kann. Passend zu unserem Medium habe ich noch einen älteren Text von Goldt aus dem Jahr 2000 gefunden: Kühn ist vermutlich, wer die Internet-Ehrfurcht dämpft. Hier einige Auszüge:

[...] In Wahrheit ist das Internet ein zwar großes, aber schlichtes Reich. Ein bißchen wie Rußland. Wer jemanden hat, der ihm gelegentlich einen Tip gibt und ihm ab und zu über die Schulter schaut - aber bitte nicht ständig über die Schulter schauen, das nervt, der wird sich bei ausreichendem Interesse spätestens nach 14 Tagen recht wendig in diesem Reich bewegen. Die Schwierigkeit, ins Internet einzusteigen, liegt irgendwo zwischen dem Binden eines Windsorknotens und dem Erlernen von Standardtänzen. Ein noch besserer Vergleich ist das Autofahren. Das kann man auch nicht von Natur aus, aber in kurzer Zeit lernt es fast ein jeder - Menschen mit geringer Intelligenz interessanterweise manchmal leichter als geistig höherbegabte, was man auch einfach begründen könnte, würde man Zeit und Lust dazu und Platz dafür haben. Auf jeden Fall ist das Autofahren eine wichtige Sache. Für viele Jobs ist ein Führer schein genauso Grundvoraussetzung wie für andere EDV-Kenntnisse. Würde man aber deshalb das Steuern eines PKWs als eine essentielle Kulturtechnik bezeichnen und die Schulen damit beauftragen, diese Technik zu vermitteln? Würde man nicht. Autofahren, Krawatten binden und Internet sollen die Menschen bitte in ihrer Freizeit erlernen. Für die Vermittlung von Grundkenntnissen in diesen Bereichen sind die allgemeinbildenden Schulen zu schade, zur Förderung von herausragenden Talenten sind sie dagegen ungeeignet. Da gilt es, andere Institute zu beauftragen bzw. erst einmal zu gründen.
[...]
Die Schule sei dazu da, Jugendliche zur Beschäftigung mit Inhalten anzuhalten, denen sie sich zu Hause aus freien Stücken nicht zuwenden würden. Sie sei der Ort, wo man ihnen mit möglichst charmanter Autorität und ohne Schnarrstimme Wissen und Grundwerte unterjubelt. Sie sei eine gutherzige Zwingburg voll trotz manch kleiner Quälerei noch immer freiwillig leuchtender Augen. Man muß die Kinder triezen und anstacheln, damit sie selbständig denken, und zwar dermaßen selbständig, daß sie in der Aktion »Schulen ans Netz« die bloße Wirtschaftsförderung erkennen. Die Schüler sollten zu Kanzler Schröder laufen, ihm erklären, daß die Computer in fünf Jahren alle veraltet und kaputt sein werden, daß sie im Unterricht nur noch an den heraushängenden Drähten ziehen und daraus Brezeln flechten würden und daß in fünf Jahren ein neuer Kanzler an die Macht komme, welcher die Computer nicht ersetzen werde, weil er für die Internet-Ehrfurcht seines Vorgängers keine Verantwortung empfinde. Sollte nun der Internet-Unterricht eingerührt werden, wird das zu Lasten klassischer Bildungsinhalte gehen. »Na gottseidank«, wird mancher Narr nun sagen. Ich hätte in meiner Schulzeit gern auf den Physik-Unterricht verzichtet, aber nur, weil ich den Lehrer nicht mochte. Er hatte eine Schnarrstimme. Hätte er die nicht gehabt und gelegentlich, wie meine Chemielehrerin, eine Bluse mit Mohrrübenmuster getragen, wäre ich an Physik genauso interessiert gewesen wie an Chemie. Es lag bei mir immer 100%ig an der Lehrkraft. Die Fächer für sich waren alle wichtig und richtig. Es gab nichts, was man dem Internet hätte opfern sollen. [...]

Sicherlich alles Ansichten, denen man sich anschließen kann. Den Vergleich mit Karl Kraus verstehe ich aber immer noch nicht. Oder haben die Juroren solche offenbar doch recht ernstgemeinten Texte für Satire gehalten? Zum Vergleich: Zitate von Karl Kraus findet man hier.

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