Dieser Beitrag ist der fünfte einer mehrteiligen Blog-Reihe zu den Themen Lehrkräftebildung und Lehrkräftemangel. Der vierte Beitrag der Reihe ist hier abrufbar.
Ausschnitt aus der chronologischen Darstellung (Zeitstrahl). Hier: Januar 2024 bis Februar 2024. Klickbare Links im vollständigen Zeitstrahl (PDF) am Ende dieser Website.
|14| Mit der „Stellungnahme zum Fachkräftenotstand an Schulen und zu den von der SWK vorgelegten Empfehlungen“ kritisiert der „Bildungsrat von unten!“ (BVU) im Januar 2024 die Stellungnahme der SWK (01/2023) als verkürzt und zu stark auf Mehrbelastungen der Bestandslehrkräfte fokussiert. In der Stellungnahme des BVU werden Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel vorgeschlagen, die größtenteils an die Empfehlungen des Monitor Lehrkräftebildung (06/2023), des Wissenschaftsrats (07/2023) sowie die des Stifterverbands (07/2023 und 11/2023) anknüpfen:
Zunächst fordert der BVU eine länderübergreifende, bedarfsgerechte Kapazitätsplanung. Weiterhin müssten neben den Lehrkräften auch alle anderen schulischen Berufsgruppen in der Personalbedarfsplanung berücksichtigt und pädagogisches wie nichtpädagogisches Personal substanziell ausgebaut werden. Die Studienerfolgsquote müsse deutlich verbessert, die Schwundquote verringert und die universitäre Lehramtsausbildung in Pilotprojekten zugunsten der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften geöffnet werden. Weiterhin sei der Quereinstieg mit berufsbegleitendem Vorbereitungsdienst als alternativer Zugang zum Lehramt zu verstetigen und länderübergreifend mit einheitlichen, wissenschaftsbasierten Qualitätsstandards zu unterlegen, während für den Seiteneinstieg ohne berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst die Option einer Weiterqualifizierung zur Verfügung gestellt werden müsse. An den Hochschulen sei zudem die vom Wissenschaftsrat empfohlene Strukturveränderung zu Lehramts-Organisationseinheiten mit Fakultätsstatus umzusetzen. Des Weiteren müsse die Lehrkräftebildung stärker phasenübergreifend ausgestaltet werden, insbesondere zwischen der ersten und zweiten Phase habe eine Verschränkung zu erfolgen bis hin zu einer schlussendlichen Integration der zweiten in die erste Phase. Regulär ermöglicht werden sollten langfristig auch Ein-Fach-Lehrkräfte.
Der BVU spricht sich darüber hinaus für eine Kürzung der Stundentafel und die Straffung von Unterrichtsinhalten aus, da diese Maßnahmen dem Lehrpersonenmangel am schnellsten und effektivsten entgegenwirken würden. Um angesichts bisher nicht hinreichend sichtbarer Überstunden die tatsächlichen Bedarfe transparent zu machen und den durch Mehrarbeit verursachten Belastungsdruck abzubauen, müsse die Arbeitszeit schulischer Lehr- und Fachkräfte künftig vollständig erfasst werden, mahnt der BVU in seiner Stellungnahme an.
|15| Im Januar 2024 erscheinen ebenfalls die „GEW-Eckpunkte für die Reform der Lehrer*innenbildung in Zeiten des Fachkräftemangels“. Der Beitrag ist als Reform der Lehrpersonenbildung im Kontext des Fachkräftemangels zu verstehen und enthält zehn Eckpunkte einer Reform der Lehrer*innenbildung: Nach Auffassung der GEW müssen die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte verbessert werden, u. a. durch eine Reduzierung der Unterrichtsverpflichtung, kleinere Klassen, Entlastung von fachfremden Aufgaben durch IT- und Verwaltungskräfte und eine Vergütung aller ausgebildeten Lehrkräfte nach mindestens A13 bzw. E13. Die GEW fordert weiterhin zu einer Sicherung bzw. einem Ausbau der Studienplätze in der Lehrer*innenbildung sowie einem Ausbau der Kapazitäten im Vorbereitungsdienst auf. Die Studienerfolgsquoten müssten verbessert und eine Reduktion der Studienabbruchquote erzielt werden. Die GEW fordert darüber hinaus eine Weiterentwicklung des Vorbereitungsdienstes, z. B. durch den Ausbau der Ausbildungskapazitäten in der zweiten Phase sowie eine Anhebung der Vergütung von Referendar*innen.
Außerdem spricht sich die GEW für eine Stufenlehrer*innenbildung mit zwei Lehrämtern aus: Primarstufe einschließlich Orientierungsstufe für die Klassenstufen 1 bis 6 sowie Sekundarstufe für die Klassenstufen 5 bis 13. Querschnittsaufgaben wie Inklusion und Umgang mit Heterogenität, durchgängige Sprachbildung und mehrsprachiges Lernen, Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams, Chancengleichheit durch geschlechtersensible Bildung und Erziehung, Bildung in der digitalen Welt und Medienbildung u. Ä., müssen laut GEW verbindlich in den Curricula der Lehrkräftebildung verankert werden. Quer- und Seiteneinsteigende müssten zudem Rechtsanspruch auf eine berufsbegleitende und vom Arbeitgeber finanzierte Qualifizierung für ein Lehramt unter Beteiligung der Universitäten erhalten. Der so erlangte Abschluss müsse dann gleichwertig mit dem Abschluss des Regelweges sein. Fort- und Weiterbildungen der Berufseinstiegs- wie auch dritten Phase müssten qualitativ hochwertig, staatlich finanziert und gebührenfrei sein sowie mit Freistellung innerhalb der Arbeitszeit unter Einbeziehung der Unterrichtszeit wahrgenommen werden können.
|16| Die von Mark Rackles (von 2011 bis 2019 Staatssekretär für Bildung in Berlin, seit 2019 freiberuflicher Berater und Publizist im Bereich Bildungswesen) durchgeführte Studie „Neue Lehrkräfte braucht das Land. Herausforderungen und Handlungsempfehlungen für die Lehrkräfteausbildung in Deutschland 2024.“, herausgegeben im Februar 2024 von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, stellt zunächst die Lehramtstypen und Strukturmerkmale des Systems Lehrkräftebildung in Deutschland dar und bespricht die heterogene Ausgestaltung der Lehrämter in den Bundesländern. Es folgt eine ausführliche Auswertung und Diskussion von Beiträgen zu den Herausforderungen im Kontext von Lehrkräftemangel und -bildung mit Fokus auf eine Einordnung der Empfehlungen von Stifterverband (Juli 2023 & November 2023), Wissenschaftsrat (Juli 2023) und SWK (vor allem Dezember 2023).
Als Themenschwerpunkte identifiziert Rackles für seine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Reformvorschlägen das universitäre Ausbildungsprivileg, die institutionelle Verortung der Lehrkräftebildung innerhalb der Universität, die Organisation und Effizienz des Lehramtsstudiums, die curriculare Ausgestaltung, phasenübergreifende Aspekte sowie Steuerungsfragen. Es schließt ein Exkurs zum SWK-Gutachten aus Dezember 2023 an, das laut Rackles zwar eine Reihe positiv zu bewertender Ansätze enthalte, gleichzeitig jedoch auch Schwächen aufweise: Für das Gutachten erfassten fast ausschließlich Akteur*innen der universitären Lehramtsausbildung (einseitige Zusammensetzung der SWK) die Analyse der Lehramtsausbildung, was zu einer relativ kompromisslosen Verteidigung des universitären Status quo führe, so Rackles. Er formuliert abschließend 10 Handlungsempfehlungen:
(1) Das universitäre Privileg in der Lehramtsausbildung wird zugunsten der Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) beendet. Die HAW sind als gleichwertige Leistungsträger in der Hochschullandschaft anzuerkennen.
(2) Das Doppelsystem der Ausbildung mit Staatsexamen und nach dem Bachelor-Master-Modell (BA/MA) sollte zugunsten des BA/MA aufgelöst werden (Ausbildung im Umfang von 300 Leistungspunkten).
(3) Die Schools of Education bzw. Zentren für Lehrkräftebildung an den Universitäten sind zu Fakultäten auszubauen.
(4) Die lehramtsbezogenen Studiengänge sollten sich nicht mehr an den Schularten orientieren, sondern an den Schulstufen.
(5) Die Ausbildung im Bachelor sollte lehramtsbezogen erfolgen, hinsichtlich der Schulart zu Beginn jedoch offen (polyvalent) sein.
(6) Die Abkehr der verpflichtenden Zwei-Fach-Struktur und die Ausbildung in einer Fachwissenschaft sollten auch für das Regelstudium geprüft werden. Empfehlenswert sei hier die Integration berufsfeldrelevanter Querschnittsthemen wie Digitalisierung und Inklusion.
(7) Die Weiterbildung (dritte Phase) sollte systematisch mit der universitären Ausbildung (erste Phase) verknüpft werden und regelhaft einen Weiterbildungsmaster für die Unterrichtsbefähigung in einem Fach vorsehen. Damit könnten sowohl Ein-Fach-Lehrkräfte berufsbegleitend die Unterrichtsbefähigung für ein zweites Fach erwerben als auch Quereinsteigende qualifiziert werden.
(8) Die Vorgaben der KMK (Standards für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken) sind so zu ändern, dass lehramtsbezogene Lehrveranstaltungen die Regel sind. Der explizite Verzicht auf „durchgängig eigene lehramtsbezogene Lehrveranstaltungen“ in den aktuellen Vorgaben gewährleistet in der Studienpraxis nicht den notwendigen Berufsfeld- und Lehramtsbezug, so Rackles. Dies gelte insbesondere für die MINT-Fächer.
(9) Perspektivisch sollte die Lehramtsausbildung einphasig erfolgen und den bisherigen Vorbereitungsdienst in das Studium integrieren.
(10) In der fragmentierten Lehramtsausbildung ist erheblich mehr Steuerung auf allen Ebenen notwendig (Abstimmung zwischen den Ländern, zwischen Ländern und Hochschulen als auch universitätsintern).
Der sechste Beitrag der Reihe ist hier abrufbar.
amh